Es ist der Sonntag vor Weihnachten. Heute kommt von mir kein klassischer Buchtipp, keine letzte schnelle Empfehlung für ein Buchgeschenk. Heute kommt die Empfehlung, einen Text zu lesen, der zu den fantastischsten und geheimnisvollsten Texten gehört, die es gibt. Ich empfehle Ihnen die Lektüre eines Weihnachtsevangeliums. Ich meine nicht den Klassiker des Evangelisten Lukas, ich meine also nicht die Geschichte mit Krippe und Stall, die jeder kennt. Ich meine das Weihnachtsevangelium des Evangelisten Johannes, in dem es all das nicht gibt: Es gibt da keine Hirten und keine Engel, die die heilige Geburt verkünden. Aber auch hier geht es um eine Geburt, es geht um die Geburt einer neuen Welt. Sein Evangelium beginnt mit dem Satz: „Im Anfang war das Wort.“ Er zitiert also in seinem Weihnachtsevangelium die ersten Worte der Bibel: „Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.“ Er bettet die Weihnachtsgeschichte ein in die Genesis, in die Geschichte von der Erschaffung der Welt.

Der Schöpfungsgott beginnt da sein jeweiliges Werk mit dem Wort: „Es werde!“. Diese Schöpfungsgeschichte ist kein naturwissenschaftliches Protokoll; es geht da nicht um den Urknall oder Ähnliches; es geht nicht darum, wie Mensch und Natur entstanden sind. Es geht darum, wie die Welt sein muss, auf dass der Mensch darin leben kann. Die Botschaft ist: Der Mensch braucht Ordnung im Chaos, er braucht Transparenz in undurchsichtigen Zuständen und Recht in der Willkür. Es geht also um Bedingungen, die das Leben überhaupt möglich machen. Es geht um die Bedingung der Möglichkeit von Politik – nicht nur am Nullpunkt der Zeit, sondern immer und immer wieder. Schöpfung ist nicht etwas, das einmal war; sie muss tagtäglich neu geschehen, um Leben in einer Welt von Krieg, Not, Gewalt und Ungerechtigkeit möglich zu machen. Schöpfung ist das, was im anderen Weihnachtsevangelium, in dem von Lukas, die Engel verkünden: „Friede den Menschen auf Erden“. Lesen Sie nach. Es ist eine Freude: Neues Testament, Johannes Kapitel 1, Vers 1 – 28. Altes Testament, Buch Genesis 1,1 – 2,4a).