Das Kriegstagebuch des Alfred Hermann Fried beginnt am 7. August 1914, nach zehn Tagen des Ersten Weltkriegs. Es beginnt so: „Der Krieg lastet wie ein Zentnergewicht auf mir. Als ob alle Lebenswerte erstickt wären. Alles sieht mich an wie die Reste eines Lebens, das ich einmal gelebt und das für immer verloren ist.“ Alfred Hermann Fried, der Autor dieses Tagesbuchs, ist heute vergessen; er war ein mutiger Mann – Pazifist, Verleger und Publizist, Gründer der Deutschen Friedensgesellschaft und der Zeitschrift Die Waffen nieder!. Er war enger Mitarbeiter Bertha von Suttners und Friedensnobelpreisträger von 1911. In seinem Tagebuch beschreibt er die Mechanik der Kriegsspirale, die Hetze der Kriegstreiber, die Verketzerung des Kriegsgegners, die Kriegslüsternheit der Presse. Eintrag vom 12. August: „Wir Pazifisten urteilen anders. Wir hassen nicht den Feind, sondern den Krieg, der der Vater all dieser Greuel ist. Sie liegen im System und sind nicht davon zu trennen.“
Fried schreibt mit pointierter Anschaulichkeit. Eintrag vom 1. November 1914: „Die Verirrung, das Hineinfressen in den gegenseitigen Hass wächst im Kubik. Die Lektüre der Zeitungen wird immer widerlicher. In der Wiener ‚Zeit‘ vom 15. November macht einer darauf aufmerksam, dass die Verwendung der Mistelzweige zu Weihnachten eine englische Sitte, infolgedessen verwerflich sei. ‚Die Mistel‘, heißt es, ‚ist das unter den Pflanzen, was die Engländer unter den Völkern sind, eine Schmarotzerpflanze‘.“ Eintrag von 23. März 1918: „Man soll dem Militarismus nicht nachsagen, dass er keinen Sinn für Poesie hat. Am kalendermäßig ersten Frühlingstag hat das große Morden im Westen eingesetzt. (…) Die wärmende Frühlingssonne wird Felder menschlicher Kadaver bestrahlen. Sie ist da, die von Hindenburg komponierte Symphonie des Endkampfes.“
Mehr als ein Jahrhundert später und unter dem Eindruck der täglichen Nachrichten vom Krieg in der Ukraine fasst einem das Tagebuch ans Herz. Der Pazifismus seines Autors beeindruckt. Ich habe das Tagebuch, das bereits im Jahr 2005 erschienen ist, in die Hand genommen, weil der Pazifismus heute so stumm geworden ist. Das Buch ist in der verdienstvollen Reihe „Geschichte & Frieden“ des Donat-Verlags in Bremen erschienen, die mittlerweile 50 Bände umfasst – unter anderem das Büchlein: „Nicht schießen, wir schießen auch nicht“ über die Versöhnung von Kriegsgegnern im Niemandsland der beiden Weltkriege. Zuletzt hat der Verleger Helmut Donat in seiner Geschichte-und-Frieden-Reihe die Lebenserinnerungen des Philosophen Theodor Lessing herausgegeben. Er wurde 1933 von den Nazis in seinem Exil in Marienbad erschossen. Man darf den 75-jährigen Verleger Donat als einen herausragenden und aufklärerischen Verleger preisen, als einen Verleger in der Nachfolge von Alfred Hermann Fried.
Alfred Hermann Fried: Mein Kriegstagebuch 1914 bis 1919. Herausgegeben von Gisela und Dieter Riesenberger. Schriftenreihe Geschichte & Frieden, Band 13. Das Buch ist 2005 im Donat-Verlag erschienen, es hat 384 Seiten und kostet 18,80 Euro.