Ich habe dieses Buch über den Rhein gelesen, weil ich die Donau so gern mag. Das klingt paradox, ist es aber nicht. Rhein und Donau halten Europa zusammen, Rhein und Donau sind die Achsen Europas: Die Donau ist die West-Ost-Achse, der Rhein die Nord-Süd-Achse. Claudio Magris hat 1996 in seiner Biografie über die Donau geschrieben, dass sich seit dem Nibelungenlied Rhein und Donau voller Misstrauen gegenüberstehen. Ich habe seinerzeit das Buch von Magris über die Donau verschlungen (und das in meiner SZ-Kolumne vom 4. März 2022 über den Krieg in der Ukraine geschrieben). Deshalb war ich nun neugierig auf die „literarische Biografie“ des Rheins, die mir eine Freundin aus Köln zu Weihnachten geschenkt hat. Es ist ein Buch, das einen mitreißt. Nicht auf jeder Seite, aber auf vielen. Manchmal treibt man auch nur gemessen dahin und man hat dann beim Lesen Zeit zum Sinnieren. Dann fallen einem Liedzeilen ein, an die man schon ewig nicht mehr gedacht hat: „Es rauschen die Bäume, es murmelt der Fluß“. Und es kommt die Erinnerung an Wanderungen in der Kindheit, auf denen man dieses Lied von der blauen Blume gesungen hat; es heißt „Wir wollen zu Land ausfahren“.

Mathijs Deen, der niederländische Autor dieses Buches über den Rhein, hat ganz viele Wanderungen unternommen, durch die Gegenwart und vor allem durch Geschichte und Urgeschichte, sich dabei unter anderem von einem Paläogeografen begleiten und beraten lassen – und dabei die Erkenntnis gewonnen: „Den Rhein hat es immer gegeben.“ Die Paläographie ist ein Teilgebiet der Geologie, die erkundet, wie die Erde in frühen Zeiten ausgesehen hat. Auch auf diese Weise ist Mathijs Deen dem Rhein auf den Grund gegangen und hat darüber ein spannendes, gescheites und vergnügliches Buch geschrieben. Was ist ein Fluss? Ist er identisch mit seinem Bett? Ist er eine Wurst aus Wasser? Endet er an seinen Ufern? Der Autor hatte, wie er gesteht, den Rhein ursprünglich als eine uralte, aber doch sterbliche Person beschreiben wollen – von der Geburt bis zum Tod. Das ist ihm auf überzeugende Weise missglückt. Stattdessen begegnet man laichenden Lachsen, Julius Caesar und Kaiser Karl dem Großen. Und man kostet mit dem Autor den Geschmack des Rheins dort, wo er seinen Lauf beginnt: „Ich knie mich in den Schnee und trinke aus dem Rhein; er schmeckt nach Stein.“

Mathijs Deen: Fluss ohne Grenzen. Der Rhein – eine literarische Biographie. Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke. Erschienen 2023 bei Knesebeck. Das Buch hat 304 Seiten und kostet 25 Euro.

Spread the word. Share this post!