Diese Leseempfehlung ist ein rühmendes Gedenken: Vor 130 Jahren wurde Ernst Toller geboren. Er war ein jüdischer deutscher Schriftsteller und Dramatiker, ein bekehrter Kriegsfreiwilliger des Ersten Weltkriegs, er wurde Revolutionär und Pazifist, er war einer der Protagonisten und Leitfiguren der Münchner Räterepublik, wurde nach deren Scheitern wegen Hochverrats angeklagt, im Standgerichtsprozess von Hugo Haase, dem Vorsitzenden der USPD, und vom Soziologen Max Weber verteidigt, der ihm die „absolute Lauterkeit“ eines radikalen Gesinnungsethikers attestierte. Das Todesurteil blieb Ernst Toller wohl deswegen erspart. Er wurde zu einer Festungshaft von fünf Jahren verurteilt. Während er im Gefängnis Niederschönenfeld eingekerkert war, hatten seine Stücke auf den Theaterbühnen größten Erfolg. Aus Anlass der hundertsten Aufführung des Dramas „Die Wandlung“, das er schon 1917/18 geschrieben hatte, bot ihm der bayerische Justizminister die Begnadigung an. Er lehnte ab, weil er gegenüber den anderen Gefangenen nicht bevorzugt werden wollte. Toller, heute ziemlich vergessen, war in den 1920er-Jahren bekannter als Bert Brecht. Seine Stücke wurden in viele Sprachen übersetzt und auf den größten Bühnen gespielt. „Masse Mensch“ gehört dazu und „Hoppla, wir leben!“, eine fantastische Geschichtsrevue.

Von Toller habe ich einst zum ersten Mal im Geschichtsunterricht an meinem Kleinstadt-Gymnasium gehört. Mein junger Lehrer lobte die im Jahr 1933 publizierte Autobiografie Tollers als die spannendste Autobiografie, die er je gelesen habe. Wenn man die letzten Jahre des Wilhelminismus, die Revolution von 1918 und die Weimarer Republik samt der aufsteigenden Hitlerei verstehen wollen, müsse man diese Autobiografie lesen. Ich habe das dann erst viel später getan – aber bis dahin diesen Ernst Toller nicht vergessen, weil mir eine Bemerkung des Lehrers im Gedächtnis geblieben war: Toller, der immer wieder unter Depressionen litt, sei stets mit einem Strick im Koffer gereist. Tollers Bücher fielen 1933 der Bücherverbrennung der Nazis zum Opfer, er stand schon auf deren ersten Ausbürgerungsliste der Nazis. Er floh ins Exil nach New York – und erhängte sich dort im Mai 1939 im Zimmer seines Hotels.

Wer wissen will, was Sprachkraft ist, der lese diese Autobiografie von Ernst Toller.

Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland, erstmals publiziert 1933. Es gibt das Buch (antiquarisch) in einer Ausgabe von rororo aus dem Jahr 1963 und in einer Ausgabe von Reclam aus dem Jahr 2013 – für 9,80 Euro. Eine neue Ausgabe der Urfassung ist im Verlag Wallstein in Vorbereitung. Sie soll 2024 erscheinen.

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