Ich hatte dieses merkwürdige, radikale, großartige, leidenschaftliche Buch schon einmal gelesen, lange her. Am Karfreitag kam es mir wieder in die Hand – und ich habe es, seines Titels wegen, wieder zu lesen angefangen. Es heißt „Auferstehung“; und ich konnte nicht mehr mit dem Lesen aufhören. Es ist ein gnadenloser, ein gesellschaftspolitisch radikaler Roman über Schuld, Reue und Umkehr, der zwar am Ende des19. Jahrhunderts spielt, aber hochaktuell ist. Es handelt sich um eine Abrechnung mit der herrschenden Ordnung und um einen „Nahkampf mit Gott“, wie der SZ-Kritiker in seiner Besprechung der faszinierenden Neuübersetzung von Barbara Conrad aus dem Jahr 2016 schrieb.

Der Kern der Geschichte ist schnell erzählt: Der Fürst Dmitri Nechljudow ist Geschworener bei einem Strafprozess. In der Prostituierten Katjuscha Maslowa erkennt er das 16-jährige Mädchen wieder, das er vor vielen Jahren auf dem Gutshof seiner Tanten verführt hat. Sie ist unschuldig des Giftmords angeklagt, wird aber trotzdem zu Zwangsarbeit verurteilt. Nechljudow erkennt, dass er Schuld an ihrem Elend trägt, es beginnt sein Prozess der inneren Wandlung; er ändert sein Leben von Grund auf, will Katjuscha heiraten, folgt ihr auf dem langen Weg in die Verbannung nach Sibirien. Sie aber heiratet einen Mithäftling und Revolutionär.

Das Werk spielt im Zarenreich, ist aber eine immer gültige Anklage gegen Kirche, Staat und Gesellschaft. Es ist das dritte – heute weniger bekannte – monumentale Werk Tolstois, nach „Krieg und Frieden“ und „Anna Karenina“. Die Handlung klingt nach einem frömmlerischen Schmachtfetzen; das ist das Buch aber nicht. Es ist eine strenge, aber mit unbändiger Schreiblust entfaltete Milieustudie und ein Blick ins Innerste des Menschen. Warum es „Auferstehung“ heißt? Darüber kann man lange nachdenken.

Leo Tolstoi: Auferstehung. In der von Barbara Conrad übersetzten und kommentierten Ausgabe ist es 2016 im Carl Hanser Verlag München erschienen. Es hat 717 Seiten und kostet 38 Euro. Man erhält es auch in einer Taschenbuchausgabe bei dtv für 14,90 Euro.

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