Warum der Wahlkampf des Republikaners nicht nur in den USA, sondern weltweit schweren Schaden anrichtet, wie aus Leitmedien Leidmedien werden – und was dagegen zu tun ist.

Kolumne von Heribert Prantl

Wer sich mit Inklusion beschäftigt, wer sich also damit befasst, wie eine gute Zukunft für Menschen mit Behinderung aussieht, der stößt bald auf das aus dem Amerikanischen stammende Wort Ableismus. Es spricht sich so: Ai-be-lis-mus. Es ist dies ein Wort, das für offene und versteckte Diskriminierung steht und das sich vom angloamerikanischen Begriff für Fähigkeit, nämlich „ability“ ableitet – „to be able“. Dieser Ableismus reduziert einen Menschen auf seine echte oder angebliche Beeinträchtigung. Er grenzt alle Menschen aus, die nicht einer vermeintlichen Normalität entsprechen, die also von der angeblichen körperlichen oder geistigen Norm abweichen; der Ableismus wertet alle Menschen ab, die nicht die als wesentlich betrachteten Fähigkeiten haben; all diese Menschen werden vom Ableismus als beeinträchtigt, als gestört und behindert kategorisiert, diskriminiert und exkludiert. Ableistisch wird es auch dann, wenn „geistig behindert“ von einer Beschreibung zum Schimpfwort mutiert – ob für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen oder für Menschen mit anderer Meinung, wie Donald Trump das macht.

Der US-Wahlkampf des Donald Trump ist eine sehr ausgreifende, eine exzessive und zugleich weltweit wirksame hochgiftige Kampagne für den Ableismus – dieser Wahlkampf ist die umfassendste Kampagne dieser Art, die es jemals gab: Trump begann schon in seiner ersten Amtszeit als Präsident damit, über Menschen mit körperlicher Behinderung abwertend daherzureden oder sie gar nachzuäffen. Dann, im laufenden Wahlkampf zunehmend, setzte er Migranten mit Straftätern gleich und sprach ihnen allen das Menschsein ab. Seine ableistische Diskriminierungskampagne dehnt er nun damit aus, dass er politische Gegner als abnorm, als irre bezeichnet und verurteilt, als geistig behindert und geistig krank. Dieser Ableismus des Donald Trump potenziert den gängigen Nationalismus, den Rassismus und den Sexismus, er treibt all das weiter voran. Die Trump’sche Kampagne macht das Unsägliche, das bisher Unsagbare, sagbar und medial reproduzierbar.

Wie das funktioniert, hat sein TV-Duell mit Kamala Harris gezeigt, in dem er über die haitianischen Einwanderer in Springfield/Ohio gesagt hatte, dass sie Katzen und Hunde äßen. Aus den Leitmedien, die derlei diskriminierenden Unsinn weiterverbreiten, werden dann Leidmedien, weil sie das Leid der von Trump diskriminierten Menschen potenzieren, indem sie es durch ständige Wiederholung sagbar machen. Die Trump-Kritiker, die den Mann daraufhin in ihrem berechtigten Zorn als Psycho, als Spinner und als Irren bezeichnen, gehen Trump auf den ableistischen Leim. Tim Walz, der Vizepräsidentenkandidat von Kamala Harris, hat das klug dadurch vermieden, dass er Trump als „weird“, also einfach als komisch beschrieben hat. Dieses Wort, das seitdem auch Harris ständig wiederholt, beschreibt etwas Negatives und Groteskes, ist aber nicht aggressiv, gehässig oder feindselig.

Inklusion bedeutet, dass alle am System teilhaben können

Die Trump’sche Kampagne ist eine gewaltige, eine global gefährliche Exklusionskampagne. Der Trump’sche Ableismus steht all dem radikal entgegen, was Integration und Inklusion heißt. Integration ist die Eingliederung eines Menschen in ein vorhandenes System, in die vorhandene Gesellschaft. Inklusion setzt einen anderen Akzent, sie verfolgt ein anderes Menschenbild: Nicht der Mensch mit Behinderung muss sich an das System anpassen, sondern ein System ist so zu gestalten, dass ein Mensch mit Behinderung umfänglich daran teilhaben kann. Die lateinische Wurzel von Integration ist „integrare“ und bedeutet heute so viel wie „ganz machen“ oder „wiederherstellen“. Rehabilitation und Integration sind miteinander verwandte Begriffe und zielen darauf ab, den Rehabilitanden an einen gegebenen Rahmen anzupassen. Inklusion, von „includere“, bedeutet noch mehr, nämlich „einlassen“ und „einbeziehen“ – und das System, also die Gesellschaft, so zu gestalten, dass ein Mensch, mit welchen Behinderungen, Beeinträchtigungen oder fehlenden Fähigkeiten auch immer, gut darin zurechtkommen kann.

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau hat das Gegenprogramm zu Trump formuliert, es lautet so: „Diversity is a fact. Inclusion is a choice.“ Und es gilt immer und immer wieder der Satz, der das gute Mantra der Inklusion ist: Man ist nicht behindert, man wird behindert. Es geht, und das ist das Gegenprogramm zu Trump, um die gesellschaftliche Sensibilität für eine gute Zukunftsgestaltung: Inklusion heißt Abbau von Barrieren, heißt Zugänglichkeit und zwar nicht nur zu Gebäuden und Verkehrsmitteln. Inklusion ist kein bautechnisches, sondern ein gesellschaftspolitisches Prinzip. Inklusion heißt Anerkennung und Wertschätzung.

Gehörlose und hochgradig Schwerhörige sind ohne Gebärdensprachendolmetscher oder technische Hilfsmittel weitestgehend von lautsprachlicher Kommunikation ausgeschlossen. Blinde Menschen erleben ihre Barrieren im Straßenverkehr, beim Einkaufen, im Kino oder im Theater. Für Menschen mit kognitiven Einschränkungen ist die Komplexität der Laut- und Schriftsprache eine Barriere. Der Abbau solcher Barrieren ist eine demokratische Aufgabe. Sie beginnt mit der Sensibilität für Hindernisse. Davon profitieren dann nicht nur Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen, davon profitieren Kinder und alte Menschen, davon profitieren Menschen mit Migrationshintergrund, davon profitiert die ganze Gesellschaft, davon profitiert die Demokratie – weil das Gefühl dafür wächst, dass das körperliche und das mentale Anderssein, auch das Andersdenken und das Andersfühlen, zu einer Gesellschaft gehören. Barrierefreiheit definiert sich auch in einer tiefen sozialen Dimension. Und wer die sozialen Barrieren wegräumen hilft, ist nicht nur Sozialarbeiter; er ist auch Demokratiearbeiter.

Schicksal, sagen manche, wenn es um Behinderungen geht – und kratzen den Juckreiz weg, den die ungerechte Ungleichheit der Lebenslagen macht. Das Leben sei halt kein Wunschkonzert. Richtig. Aber es ist eben Leben, und zwar das einzige, das man hat. Schicksal ist daher eine Aufgabe für die Gesellschaft. Erst wenn sie diese Aufgabe annimmt, wird sie zur Gesellschaft – statt ein Haufen von gegeneinander konkurrierenden Einzelkämpfern zu sein. Das ist das Programm gegen den Ableismus. Es geht um Solidarität; es geht um Inklusion, es geht um Gerechtigkeit.

Hinweis: Diese Kolumne erschien zuerst am 17.10.2024 in der Süddeutchen Zeitung.