Das ist ein Buch, das man zwischen den Jahren lesen sollte: Ein gedankenreiches, ein packendes, ein anregendes Buch über die digitale Transformation, über die Faszination und die Widerwärtigkeit der neuen Arbeitswelt. Es ist das Ergebnis der Selbstbeobachtung einer Autorin, die studierte Designerin ist und die 20 Jahre in der Kreativindustrie gearbeitet hat. Julia Peglow ist Geburtsjahrgang 1973, ist „so alt wie das Internet“, gehört einer Generation an, die, wie sie meint, „mit einem Bein im analogen und mit dem anderen im digitalen Zeitalter steht“. 2017 beschloss sie, anders zu arbeiten, um „wieder zum Denken zu kommen“. Heute berät sie Unternehmen und schreibt auf ihrem Blog „diary of the digital age“.
Sie berichtet von ihren Erfahrungen in der Welt der Meetings und der Online-Konferenzen: „Ich schaue auf meine Welt, auf die Menschen um mich herum; wie sie auf der Straße an mir vorbeieilen, den Blick auf das Smartphone gerichtet; ich sehe, wie sie in Meetings sitzen mit leeren Blicken auf die Erfolgsmeldungen des technologischen Fortschritts, die rund um die Uhr durch die endlosen Feeds rattern – ein Riesenspektakel namens Digitalisierung, ein brummender Hyperaktivismus, bei gleichzeitiger innerer Leere. Die Menschen haben die Fähigkeit verlernt, über all das nachzudenken.“ Genau das macht Julia Peglow in gut lesbarer Weise.
Sie mokiert sich über die Leute, die den ganzen Tag damit beschäftigt sind, Mails abzuarbeiten: „Wenn alle den Großteil ihrer Arbeitszeit Mails abarbeiten, wann arbeiten die eigentlich?“ Sie belässt es aber nicht bei solchen Frotzeleien. Sie fragt: Was richtet es an, wenn die technologische Entwicklung und die daraus resultierenden Veränderungen ein solch beschleunigtes Tempo aufnehmen, dass sich innerhalb weniger Jahrzehnte so viel verändert wie in Jahrtausenden davor? Wie fühlt sich das für uns Menschen an: „Als hätte jemand einen riesigen Schalter umgelegt und die Schwerkraft ausgeschaltet“. Ein Trauma? Oder schwingt da auch eine Befreiung mit? Peglow spricht von der „schwebenden Generation“. Aber vielleicht, räumt sie selbstkritisch ein, ist das Gefühl, in ganz besonderen Zeiten zu leben, auch nur eine Art von Gegenwartseitelkeit.
Besonders gefallen hat mir ihr Lobpreis auf die Bücher: „Ein Buch ist nicht nur ein dreidimensionales Objekt aus Papier und Buchdeckel – in Wirklichkeit ist es ein Knotenpunkt mit Verbindungslinien zu ganz vielen anderen Büchern … Es sieht ähnlich aus wie diese Weltkarte mit den Flugverbindungen im Lufthansa-Magazin“. Julia Peglows Buch ist auch so ein Knotenpunkt, zum Starten und Landen in den Tagen zwischen Weihnachten und Dreikönig.
Julia Peglow: Wir Internet-Kinder. Vom Surfen auf der Exponentialkurve der Digitalisierung und dem Riss in der Wirklichkeit einer Generation. Das Buch, sehr schön gestaltet und ausgestattet, ist soeben im Verlag Hermann Schmidt erschienen. Es hat 304 Seiten und kostet 29,80 Euro.