Oskar Maria Graf, der bayerische Weltschriftsteller, war Pazifist. Wegen Befehlsverweigerung kam der junge Soldat Graf 1915 ins Irrenhaus, sein militärischer Vorgesetzter bezeichnete ihn als „Schandfleck der bayerischen Armee“. Graf floh später vor Hitler ins Exil, er lebte samt Lederhose in New York. Auf den ersten Stationen seiner Flucht schrieb er einen bis heute ziemlich unbekannten Roman – „Der Abgrund“, der das Wüten der Nazis in München schon vor der sogenannten Machtergreifung packend beschreibt. Man muss das lesen, heute, in den Zeiten der braunen Jahrestage.

Im Zentrum des Graf-Romans vom „Abgrund“ steht das Schicksal von Joseph Hochegger, eines aufrechten Sozialdemokraten, der das Herz, den Geist und die Leidenschaft für eine soziale Politik hat. Hannes S. Macher vom Literaturportal Bayern hat herausgefunden, wer das Vorbild für die Hauptfigur war: Es war wohl der 1884 im oberpfälzischen Auerbach in einfachen Verhältnissen geborene Karl Sebastian Preis, der in der Weimarer Republik berufsmäßiger Münchner Stadtrat und Leiter der Wohnungs- und Siedlungsreferats war; nach ihm ist heute ein Platz in München benannt. Auf der Basis seiner „Denkschrift zur Lage und Beseitigung der Wohnungsnot in München“ entwickelte Preis ein großzügiges Bauprogramm für gemeinnützige Wohnungen. Von 1928 bis zu seiner Amtsenthebung durch die Nazis war er dann höchst erfolgreicher Aufsichtsratsvorsitzender der „Gemeinnützige Wohnungsfürsorge AG“, kurz GEWOFAG. An ihm und am Schicksal seiner Familie entwickelt Oskar Maria Graf den „Sturz Deutschlands in Bodenlose“, wie Jean Amery schrieb. „Der Abgrund“ ist erstmals 1936 publiziert worden. Man muss in der Vergangenheit lesen um den Blick zu haben für die Gefahren der Gegenwart.

Oskar Maria Graf: Der Abgrund. Ein Zeitroman. Der Roman ist 2020 neu erschienen im Allitera-Verlag, Edition Monacensia, er hat 424 Seiten und kostet 28 Euro.

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