Das alte bäuerliche Leben ist verschwunden; in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts ging es unter. Ewald Frie, als neuntes von elf Kindern auf einem Bauernhof im Münsterland aufgewachsen, hat diesen Untergang erlebt. Und weil er heute Professor für neuere Geschichte ist, verlässt er sich nicht einfach nur auf seine eigenen Erinnerungen; er hat seine Geschwister befragt und ihre Antworten eingebettet in eine packende Familien-, Sozial-, Bildungs- und Zeitgeschichte. Die Geschwister sind zwischen 1944 und 1969 geboren, die Perspektiven ändern sich entsprechend. Frie hat für das Buch zu Recht den deutschen Sachbuchpreis erhalten: Es ist das anrührende Protokoll des Untergangs einer Welt, in der die Menschen erst festen und dann immer weniger Halt hatten in Religion, in harter körperlicher Arbeit, in Sitten und Gebräuchen, in Riten und Ritualen, die dem Alltag bisweilen ein zauberhaftes Kleid gaben. Aber das Wiesenschaumkraut, mit dem die Bauernkinder damals den Marien-und Maialtar in der Wohnküche schmückten, ist, wie anderes auch, bald welk geworden.

Vieles von dem, was Frie aus dem Münsterland erzählt, kenne ich aus der Oberpfalz. Es gibt überraschend viele Parallelen zwischen dem katholischen Nordwesten Deutschlands und dem katholischen Südosten an der Grenze zu Böhmen. Manchmal ist mir beim Lesen, als würde ich durch meine eigene Kindheit blättern. Frie fasst sein erzählerisches Protokoll zusammen mit dem melancholischen Buchuntertitel: „Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben“. So still wie Frie im Münsterland habe ich diesen Abschied in der Oberpfalz nicht erlebt. Ich höre noch den alten, buckeligen Knecht Gottfried schreien, den sein Bauer aus Wut und Zorn über die neue Zeit, die nicht mehr die seine war, halb tot prügelte. Der Knecht verkam so wie der Hof. Und der Bauer erhängte sich im Stall. Es war kein stiller, es war so oft ein bitterer Abschied von der bäuerlichen Welt, die in der Oberpfalz, anders als im Münsterland, meist eine kleinbäuerliche war. Und als dann in den Achtzigerjahren die CSU in diesem armen, aus der Zeit gefallenen Land eine atomare Wiederaufarbeitungsanlage bauen wollte, weil man glaubte, die dort seien für alles dankbar – da begann der laute Widerstand. Es waren keine stillen Zeiten.

Ewald Frie: Ein Hof und elf Geschwister. Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben. Das Buch ist vor kurzem im Verlag C.H. Beck erschienen, es hat 191 Seiten und kostet 23 Euro.

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