Das Recht befördert noch immer ein partnerschaftliches Auslaufmodell. Es ist eine Benachteiligung von Paaren, die als Gleichberechtigte ihrem Beruf nachgehen. Es ist an der Zeit, das endlich zu ändern.
Das Ehegattensplitting stammt aus einer Zeit, in der der Petticoat Mode war. Die Frauen trugen ihn unter einem weiten Rock, er war eine bauschige Polsterung des leeren Raums. Der Petticoat ist verschwunden, das Ehegattensplitting nicht. Es ist das steuerrechtliche Relikt der späten Fünfzigerjahre, in denen die Hausfrauenehe als Ideal angesehen wurde. Das ist zwar lang vorbei. Aber steuerlich bevorzugt und gefördert wird die Hausfrauenehe immer noch – das Ehegattensplitting ist das Instrument dafür. Dabei wird das gesamte zu versteuernde Einkommen halbiert, die darauf entfallende Einkommensteuer berechnet und die Steuerschuld anschließend verdoppelt. Dadurch wird zum einen die Progression der Einkommensteuer gemildert, zum anderen werden zwei Grundfreibeträge berücksichtigt. Seit 1958 ist das so; und daran hat sich bis heute nichts geändert, obwohl sich Zeiten und die Realität von Ehe und Familie grundlegend verändert haben.
Seit Jahrzehnten wird darüber diskutiert, das Ehegattensplitting durch ein Familiensplitting zu ersetzen; die SPD drängt seit Langem auf diese Reform. Vor allem die FDP, aber auch die Union haben sich dem stets vehement widersetzt. Es hat auch nicht geholfen, dass schon vor dreißig Jahren der damalige CDU-Generalsekretär Peter Hintze die Vorteile des Splittings von der Ehe auf die Familie umleiten wollte und auch die spätere Kanzlerin Angela Merkel 1992 als Frauenministerin dafür plädierte. Die Sache kam gleichwohl ihrer Realisierung keinen Schritt näher. Vielleicht kommt jetzt Bewegung in die Sache. Familienministerin Karin Prien (CDU) hat sich darauf besonnen, dass sie Familienministerin und nicht Eheministerin heißt – und also vorgeschlagen, das Ehegattensplitting zum Familiensplitting weiterzuentwickeln.
Hausfrauenehe? Das Steuerrecht betreibt Realitätsverweigerung
Das Ehegattensplitting beruhte seinerzeit auf der Vorstellung, dass die Ehefrau nicht berufstätig ist und ihr Mann ein Leben lang sein Einkommen mit ihr teilt. 1958 entsprach das der Realität ehelichen Zusammenlebens. Die Einverdiener-Ehe war auch noch 1981, als Karlsruhe das Ehegattensplitting für verfassungsgemäß erklärte, wesentlich verbreiteter als heute. Das Leitbild einer lebenslang gültigen Versorger-Ehe hat der Gesetzgeber in allen anderen Rechtsbereichen längst aufgegeben. Im Steuerrecht hält es sich hartnäckig; es betreibt Realitätsverweigerung.
Das Ehegattensplitting bringt die größten Vorteile, wenn die Frau ganz auf Berufstätigkeit verzichtet. Je mehr sich die Einkommen der Ehepartner angleichen, desto mehr schmilzt die Vergünstigung durch das Splitting weg; die Vergünstigung fällt ganz weg, wenn beide Ehegatten gleich viel verdienen. Das hatte und hat zur Folge, dass viele Frauen meinen, es lohne sich nicht zu arbeiten oder durch Vollzeitarbeit mehr zu verdienen. Das ist trügerisch, weil die Frau dann bei einer Trennung allein auf ihr geringes Einkommen zurückgreifen kann und die Scheidung ihr zumeist nur dann einen Unterhaltsanspruch einbringt, wenn die Kinder noch klein sind.
Das Splitting unterstützt ein Ehebild, das großenteils nicht mehr gelebt wird: Mittlerweile gehen mehr als siebzig Prozent der Frauen im erwerbsfähigen Alter einer bezahlten Beschäftigung außer Haus nach – oft in Teilzeit. Je weniger sie dabei gegenüber ihrem Ehemann verdienen, desto mehr wird ihre Ehe auch weiterhin vom Splitting begünstigt. Das Ehegattensplitting befördert also ein partnerschaftliches Auslaufmodell; und es konterkariert das verfassungsrechtliche Gebot, der Gleichberechtigung den Weg zu ebnen. Es stellt eine Benachteiligung von Paaren dar, die als Gleichberechtigte ihrem Beruf nachgehen – zumal die Privilegierung der Hausfrauenehe nicht daran anknüpft, dass das Ehepaar Kinder hat und für deren Betreuung Sorge trägt; die Privilegierung orientiert sich ja allein am Ehestatus. Es ist Zeit, diese steuerpolitische Fehlsteuerung zu beenden und stattdessen eine Einzelbesteuerung der Ehegatten vorzunehmen oder ein Familiensplitting einzuführen, das sich an der Zahl der Kinder und der pflegebedürftigen Familienmitglieder ausrichtet.
Die steuerliche Bevorzugung der Ehe ist eine grobe Benachteiligung der Familie
In den Fünfzigerjahren war es noch zweckmäßig, wenn der Staat, der die Familie fördern wollte, sich zu diesem Zweck auf die Ehe berief. Ehe und Familie waren zumeist identisch. Davon geht auch der Artikel 6 des Grundgesetzes aus: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ Ehe und Familie werden hier deswegen in einem Atemzug genannt, weil die Ehe als das Nest der Familie galt. Das Ehegattensplitting beruhte auf der Erwartung, dass das Nest gefüllt wird. Das war die Geschäftsgrundlage für das Ehegattensplitting, das also bei seiner Einführung praktisch ein Familiensplitting war – eine Förderung der Familie, wie sie sich damals darstellte: Ehe mit Kindern, der Mann arbeitet, die Frau kümmert sich zu Hause um den Nachwuchs. Das hat sich grundlegend geändert. Die Ehe ist nicht mehr regelmäßig der Beginn einer Familie, sondern schlicht eine staatlich registrierte Zweierbeziehung, in der immer öfter Paare gewollt kinderlos leben; und immer mehr Kinder wachsen nicht in ehelichen Verbindungen der Eltern auf. Angesichts dessen ist die steuerliche Bevorzugung der Ehe eine grobe Benachteiligung der Familie.
Das Recht achtet seit geraumer Zeit weniger auf die Ehe, es achtet mehr auf die Kinder. Das ist kein Werteverlust, das ist eine Werteverlagerung: Zu konstatieren ist eine stillschweigende Verfassungsänderung wie folgt: „Der Staat achtet und schützt alle Lebensformen. Lebensgemeinschaften mit Kindern und mit Hilfsbedürftigen stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.“ Das war schon der Tenor von feinen Vorschlägen, die 1993 zur Neuformulierung des Ehe- und Familienartikels in der Verfassungskommission gemacht wurden, die nach der Deutschen Einheit das Grundgesetz überarbeiten sollte. Die Anträge wurden abgelehnt. Aber die deutsche Gesellschaft und die Rechtsprechung haben sie seitdem stillschweigend angenommen. Der Gesetzgeber sollte dem folgen – und ein Familiensplitting einführen, das sich orientiert an der Zahl der Kinder und der alten Menschen, die in der Familie gepflegt werden. Das wäre zeitgemäß, vernünftig und zukunftsweisend.
Hinweis: Diese Kolumne erschien zuerst am 06.11.2025 in der Süddeutschen Zeitung.