Keine versteht es besser, ohne Gefühligkeit über Gefühle zu schreiben. Die französisch-israelische Soziologin und große Erforscherin der Gefühle der Moderne, Eva Illouz, hebt den Deckel, unter dem es zischt und kocht. Sie wagt einen Blick auf die brodelnden Emotionen der Leute, sie beschreibt die Grausamkeiten der Hoffnung, das Dahindümpeln im Enttäuschtsein, den selbstzerstörerischen Zorn, das Buhlen ums Opfersein, die unheimliche Heimatlosigkeit, den falschen Stolz des Nationalismus und andere emotionale Ingredienzien der hochaufgeladenen Gegenwart. Auf ihrer spannenden und aufschlussreichen Reise durch die Welt der Gefühle macht sie immer wieder Abstecher in die Mythologie, Poesie und Literatur, zu Odysseus und Michael Kohlhaas, Madame Bovary und Gregor Samsa.

In ihrem Buch „Explosive Moderne“ legt Eva Illouz offen, dass Gefühle keineswegs Ausdruck eines authentischen, individuellen Selbst sind. Es ist dies die Täuschung der Gefühlsindustrie, welche nach der „Traumhochzeit“ von Psychologie und Kapitalismus Emotionen zum Konsumgut gemacht hat. Umso wichtiger ist es, sich klar über sie zu werden. Illouz identifiziert Gefühle als verlängerten Arm der Gesellschaft im Selbst: Sie wirken echt und ursprünglich, sind aber sozial codiert, ökonomisch verwertet und kulturell normiert. Populärpsychologie und Ratgeber-Medien suggerieren Authentizität, während sie standardisierte, vorhersehbare emotionale Skripte verbreiten. „Das Selbst wird zur Bühne, auf der gesellschaftliche Erwartungen als persönliche Wünsche auftreten.“

Der liberalen Gesellschaft ist wesenseigen, dass sie mehr verspricht als sie halten kann. Das bringt emotionale Paradoxien hervor. Illouz führt als Beispiel aus, wie die Schutzideale der Demokratie, die den Bürgern versprechen, frei von Angst leben zu können, zur Vervielfachung öffentlicher Ängste führen, bis hin zur Militarisierung der Gesellschaft: „Werden politische Situationen als Quellen der Furcht konstruiert, schleicht sich der Krieg wieder in die Politik ein. (…) Furcht trägt dazu bei, dass die Metaphern, die Sprache und die Logik des Krieges legitimiert und auf die Gesellschaft angewandt werden.“ Die unerfüllten und unerfüllbaren Versprechen des amerikanischen Traums und der liberalen Moderne – Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit von Furcht – produzieren jene explosiven Gefühle, derer sich die Feinde der Demokratie bedienen. Eva Illouz, sei mir nicht böse, aber ich habe das Buch über die falsche Welt der Gefühle mit einem echt guten Gefühl aus der Hand gelegt.

Eva Illouz: Explosive Moderne. Das Buch ist 2024 im Suhrkamp Verlag erschienen, es hat 447 Seiten und kostet 32 Euro.