Die Kirchenaustrittszahlen beschreiben eine Katastrophe, es ist eine Katastrophe von historischem Ausmaß. Es verbrennt nicht nur die Tradition, es verbrennt die Kraft der Kirche, der katholischen zumal, als Wertegemeinschaft und orientierende Instanz. Es geht das verloren, was die Gesellschaft lange geprägt hat; es geht auch das verloren, was der Gesellschaft von heute guttun würde: Es verbrennt das Gehäuse für Werte wie Nächstenliebe, Gerechtigkeit, Solidarität und Aussöhnung. In dieser Zeit ist das Buch, das ich Ihnen heute empfehle, fast exotisch. Es ist ein spannendes Buch über eine Zeit, in der die Klöster Magnete waren, Magnete des geistlichen und des geistigen Lebens. Von der Geschichte der Männerklöster weiß man viel, von der Geschichte der Frauenklöster wenig.
Davon handelt das Buch der Professorinnen Henrike Lähnemann und Eva Schlotheuber. Lähnemann lehrt in Oxford deutsche Literatur des Mittelalters, Schlotheuber ist Professorin für mittelalterliche Geschichte an der Universität Düsseldorf. Sie geben, so der Untertitel, Einblicke in das Leben in der Klausur eines mittelalterlichen Frauenklosters. „Unerhörte Frauen“ heißt das Buch. Es heißt nicht deswegen so, weil diese Nonnen unbedeutend gewesen wären und keinen Einfluss gehabt hätten. Das Gegenteil war richtig. Sie hatten Ansehen und Autorität. Die beiden Autorinnen haben Tagebücher und Briefe dieser Frauen entdeckt und ausgewertet. Das ist, der Untertitel verspricht da nicht zu viel, faszinierend.
Henrike Lähnemann / Eva Schlotheuber: Unerhörte Frauen. Netzwerke der Nonnen im Mittelalter. Das Buch hat 224 Seiten, es ist soeben im Verlag Propyläen erschienen und kostet 26 Euro.