50 Tage nach Ostern feiern Christen ein Kommunikationsfest – alle können plötzlich mit allen reden. In Zeiten künstlicher Intelligenz wird hier das Göttliche anschaulicher.

Dies ist der Versuch, das Unbegreifliche begreiflich zu machen. Dieses Unbegreifliche steht bevor, es dauert zwei Tage, es heißt Pfingsten; kaum jemand weiß, was da eigentlich gefeiert wird. Noch dazu ist Pfingsten ein Fest ohne spezifische Aura; ihm fehlt die Romantik von Weihnachten, ihm fehlt die Dramatik der Ostertage. Da ist keine Krippe, da ist kein Christbaum, da ist kein Nest, da sind nicht einmal ein paar dürre Zweige, an die man ausgeblasene Eier hängt. An Pfingsten ist wenig Brauchtum; Geschenke gibt es auch nicht. Aber dafür steht die Natur in voller Blüte, und man kann den Sommer riechen.

Das ist auch ein Geschenk; aber was ist der Anlass? Diese Kolumne ist das Vorhaben, Ihnen und mir selbst das Pfingstfest zu erklären – von dem es ja heißt, dass es den „Heiligen Geist“ feiert; er ist der Held des Pfingstfestes. Wer an Pfingsten in einen Gottesdienst geht, hört dort in der Predigt, dass Gott in der Welt als Geist präsent sei, als Heiliger Geist. Der Kirchenbesucher denkt sich, dass er von diesem Geist nichts spürt. Um ihm auf die Spur zu kommen, muss man, einfacher geht es leider nicht, im Neuen Testament nachlesen – es handelt sich ja um ein christliches Fest. Es wird immer am fünfzigsten Tag der Osterzeit gefeiert, also 49 Tage nach dem Ostersonntag. Davon kommt der Name Pfingsten, abgeleitet vom griechischen Wort für fünfzig Tage. Aber der Name erklärt noch gar nichts.

Die Erklärung steht in der Apostelgeschichte. Und diese Geschichte ist spektakulär, gerade in den Zeiten von KI, der künstlichen Intelligenz. Sie geht so: Die Follower des hingerichteten Jesus haben sich ängstlich verkrochen. Denn auf die Euphorie, die der Glaube an seine Auferstehung erst einmal ausgelöst hatte, folgt die lähmende Ernüchterung: Sie haben jetzt keinen mehr, der ihnen vorausgeht und sagt, wo es langgeht. Jesus war ja wieder im Himmel, seine Anhänger aber auf der Erde, auf dem harten Boden der Tatsachen, verfolgt von der römischen Besatzungsmacht. In ihrer Lethargie werden sie plötzlich von einer überwältigenden Inspiration ergriffen, die sie wie ein Sturm überkommt.

Die Schüler und Jünger des Jesus sind keine Politiker, sie sind keine Diplomaten, sie sind überhaupt nicht sprachenkundig. Und doch trauen sie sich nun auf die Straßen und Plätze und sie sprechen wie entfesselt zu einer Menschenmenge aus aller Herren Länder. Und es geschieht etwas, was diese Geschichte so wundervoll macht: Jeder hört sie in seiner Sprache reden. Die Jesus-Leute haben die Gabe, die anderen über alle Sprachbarrieren hinweg zu erreichen: Sie verstehen, sie werden verstanden, sie finden die richtigen Worte. Die kreative Kraft, die schöpferische Macht, die ihnen das ermöglicht – sie wird Heiliger Geist genannt.

Vom Wunder einer barrierefreien Verständigung träumt jeder, der redet oder schreibt

Die Pfingstgeschichte ist eine Kommunikationsgeschichte. Pfingsten ist das Fest der Kommunikation, es ist das Fest der Inklusion. Es handelt vom Wunder einer barrierefreien und überzeugenden Verständigung. Davon träumt jeder Journalist, davon träumt jeder Redner, davon träumt jeder, der telefoniert und kommuniziert. Und seitdem der Mensch künstliche Intelligenz programmiert, er also gleichsam Computern Leben einhauchen kann, wird das Unbegreifliche von Pfingsten begreiflicher: Der Heilige Geist macht mit den Menschen, was diese mit den Computern machen. Die Menschen schaffen die Computer nach ihrem Bilde, so wie das nach der biblischen Schöpfungsgeschichte Gott mit dem Menschen gemacht hat: Er schuf den Menschen nach seinem Bild; und damit hat Gott den Menschen zu einem Schöpfer gemacht – zu seinem Ebenbild.

Damit sind wir beim Bilderverbot, das im zweiten der Zehn Gebote steht: Du sollst dir kein Bildnis machen von Gott, steht da. Warum eigentlich nicht? Dieses zweite Gebot ist, zumal für einen Journalisten, ein seltsames Gebot. Wir machen uns ja dauernd Bilder, wir können gar nicht anders, wenn wir gut kommunizieren wollen, wir machen uns auch Bilder vom Göttlichen, Bilder von Idolen und Idealen, Bilder von Fetischen bisweilen. Bilder gehören zu einer guten Kommunikation. Wie soll man ein Fest der Kommunikation feiern, wenn Bilder und Gleichnisse verboten sind? Die Bibel verstößt selbst durchgängig gegen dieses Gebot; sie ist voller Bilder – vom Menschen und von Gott. Auch dort, wo sie uns Gott als Heiligen Geist vorstellt, geschieht das in Bildern, um begreiflich zu machen, was das ist – der Geist: eine Taube, ein Brausen, Feuerzungen.

Das Bilderverbot ist nicht wörtlich zu nehmen, es ist so zu übersetzen: Du sollst nicht über Gott verfügen, du sollst dir einen Gott nicht nach deinen Vorstellungen zurechtbasteln, wo und wie es dir am besten passt. Denn wer sich ein genaues Bild von Gott macht, wie er zu sein hat, der wird sich schnell auch Bilder von Menschen machen, wie diese zu sein haben. Und er wird dann ganz genau wissen, wann ein Mensch angeblich kein richtiger Mensch mehr ist. Dann wird er ihm womöglich die Bezeichnung Mensch aberkennen und ihn stattdessen „Schädling“ nennen, „Ungeziefer“ oder „Parasit“. Solches Bildermachen daher ist das Ende der Freiheit und der Beginn der Gewalt.

Daraus folgt die zweite, die tiefere Wahrheit des Bilderverbots: Die Menschen sollen sich kein Bild von Gott machen, weil Gott selbst ein Bild von sich gemacht hat – im Menschen. Er schuf die Menschen nach seinem Bilde, so steht es in der Genesis, in der Schöpfungsgeschichte. Wenn die Menschen damit beschäftigt sind, sich ein eigenes Bild von Gott zu machen, übersehen sie womöglich, wo ihnen die Bilder Gottes begegnen, die Gott selbst gemacht hat – die Mitmenschen nämlich, in denen sich sein Gesicht spiegelt. Auch im verlorensten und im verunstalteten menschlichen Antlitz, das ist dann die subversive und die trotzige Wahrheit des zweiten Gebots, blickt Gott einen an. Das zweite Gebot ist daher das pfingstliche Gebot der Zehn Gebote.

Dieses pfingstliche Gebot verbindet sich mit dem Pfingstwunder der wunderbaren Kommunikation: Wer im Mitmenschen das Ebenbild Gottes erkennt, der kommuniziert mit ihm anders – nämlich menschlicher.

Hinweis: Diese Kolumne erschien zuerst am 05.06.2025 in der Süddeutschen Zeitung.