Dem Zweiten Weltkrieg folgte der Kalte Krieg, an die Stelle der Vergangenheitsbewältigung trat in der Bundesrepublik Deutschland der Antikommunismus; er war das einigende Band der Wirtschaftswundergesellschaft. Fast wahnhaft sah die Adenauer-Politik hinter jeder Kritik an ihr den Weltkommunismus am Werk. Also wurde sogar ein späterer Bundespräsident von den deutschen Geheimdiensten überwacht und das Telefon seiner Anwaltskanzlei abgehört. In dieser Zeit erlebte Gustav Heinemann wiederholt, dass an das Namensschild seiner Tür Zettel geklebt wurden: „Von Moskau bezahlt“. Kommunistische Widerstandskämpfer gegen die Nazi-Diktatur, die das Konzentrationslager überlebt hatten, sahen sich in der jungen Demokratie plötzlich abermals vor dem Richter – oft war es ein alter Nazi-Richter. Ehemalige Opfer wurden wieder Opfer, und Täter von einst wurden erneut Täter. Das ist alles ist bekannt – aber man kann es nicht oft genug beklagen.
Noch nicht bekannt war bisher, in welchem Umfang der BND, der Bundesnachrichtendienst in Pullach, vorsätzlich und völlig unbekümmert Dutzende von NS- und SS-Mördern eingestellt hat: Obersturmbannführer, Einsatzgruppenleiter, Nazis aus dem berüchtigten Reichssicherheitshauptamt wurden vom Generalmajor a.D. Reinhard Gehlen zum Teil in herausgehobenen Positionen beschäftigt. Die Vergangenheit dieser Männer, die Organisation von Deportationen nach Auschwitz, die Erschießung von Kriegsgefangenen und Partisanen, Mord, Totschlag und Grausamkeiten galten nicht als Einstellungshindernis oder Entlassungsgrund, sondern als Ausweis von Berufspraxis.
So war das in der „Organisation Gehlen“, der von den USA dirigierten Geheimdienstorganisation des Wehrmachtsgenerals a.D., aus der 1956 der Bundesnachrichtendienst (BND) wurde. Reinhard Gehlen, der den BND dann bis 1968 leitete, hatte sich schon 1949 vorgenommen, die „anständigen“ Männer aus der SS doch „im Kampf gegen den Kommunismus“ nutzbar zu machen. So geschah es – und all dies legt der 60-jährige Historiker Gerhard Sälter in seinem neuen Buch akribisch dar. Sälter ist seit mehr als 20 Jahren wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte Berliner Mauer. Sein neues Werk heißt: „NS-Kontinuitäten im BND: Rekrutierung, Diskurse, Vernetzungen“. Es handelt sich um eine Publikation in der Reihe der „Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND“.
Das Buch erscheint soeben im Berliner Christoph Links Verlag, hat 827 Seiten und kostet 65 Euro, als Kindle-Ausgabe kostet es 29,99 Euro. Mein SZ-Kollege Willi Winkler hatte Gelegenheit, das Manuskript über das, wie Sälter urteilt, „größte Demokratieverbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik“ vorab zu lesen. Winklers Text darüber ist überschrieben mit „Die Mörderbande von Pullach“; er bietet ein bedrückend-eindrucksvolles Konzentrat der erschütternden Forschungen Sälters.