Der TV-Wahlkampf 2025 hat die AfD wie eine Partnerin der Demokratie behandelt. Das war ein Fehler. Man kann ihn aber künftig vermeiden.

 

 

 

Kolumne von Heribert Prantl

Der Bundestagswahlkampf, soweit er im Fernsehen ausgetragen wurde, war ein großes Normalisierungsprogramm für die AfD: In allen Wahlsendungen wurde sie als Partei auf demokratischer Flughöhe behandelt. Ihre Spitzenkandidatin hatte dort viel Präsenz und Redezeit. Alice Weidel wurde befragt wie die Spitzenkandidaten der anderen Parteien auch und sie konnte mit ihnen freundlich die Hände schütteln. Normalität, Normalität. Das alles geschah, obwohl die AfD vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall geführt wird, obwohl diese Einstufung in sämtlichen Gerichtsinstanzen bestätigt wurde, obwohl die AfD das Parlament verachtet, obwohl sie im Bundestag Fäkalien in die Debatten gießt, obwohl sie gegen Minderheiten hetzt, obwohl sie Hass schürt, obwohl sie aggressive völkische Positionen in die Politik pumpt und den Nationalsozialismus glorifiziert.

Angesichts dessen wirkten all diese Sendungen wie eine Nobilitierung der AfD, sie waren ein falsches und gefährliches Upgrade. Die AfD wurde dort hingehoben, wo sie nicht hingehört: Eine rechtsextreme Partei wurde zur Partnerin der Demokratie gemacht, zur Mitspielerin in einem Spiel, das zu ernst ist, um ein Spiel zu sein. Der TV-Wahlkampf wurde – angeblich im Namen der Demokratie – zu einem voyeuristischen Gewöhnungsprogramm für das politisch Perverse und zu einem Alphabetisierungsprogramm zum Durchbuchstabieren des Unsagbaren. Zuletzt durfte Alice Weidel im ARD-Interview mit dem schönen Titel „Farbe bekennen“ ihr Bekenntnis zum braunen Björn Höcke ablegen. Und sie durfte erklären, dass sie an den deutschen Grenzen einen Zaun bauen will. Dazu wurde ihr die entsprechende Frage hingehalten wie ein Kotelett, in das sie nur reinbeißen musste. Gehört es wirklich zur Demokratie, einer Trump’schen Verwandlung Deutschlands Vorschub zu leisten? Ist es demokratisch, bei der Talkshow-Präsentation autoritärer Programme achselzuckend zu sagen: „Viele Menschen wollen das halt so“?

Ein Verbotsantrag gegen die AfD hätte den Wahlkampf verändert

Zuletzt war viel von der „Kriegstüchtigkeit“ die Rede; von der „Wehrhaftigkeit“ der deutschen Demokratie leider nicht. Zu dieser Wehrhaftigkeit hätte ein Verbotsantrag gegen die AfD in Karlsruhe gehört. So ein Verbotsverfahren dauert lange. Aber schon seine Einleitung hätte den Wahlkampf gründlich verändert. Dann hätte die Weidelisierung entweder gar nicht stattgefunden; oder die TV-Sendungen wären anders abgelaufen. Die Überlegung, die AfD wegen ihrer autoritären Programmatik gar nicht an den Wahlkampfsendungen teilnehmen zu lassen, kam überhaupt nicht aufs Tapet, angeblich deswegen nicht, um der Demokratie ihren freien Lauf zu lassen und um den Wahlkampf nicht zu verzerren. Mit letzterem Argument hat auch der Verfassungsschutz die Vorstellung eines neuen Gutachtens zurückgehalten, das die AfD als „gesichert rechtsextrem“ einstuft. Dieses Gutachten soll erst nach der Wahl publiziert werden, aus Neutralitätsgründen. Ist es Neutralität, wenn eine Behörde, die über die Gefahren für die Demokratie informieren soll, dies ausgerechnet vor einer so wichtigen Wahl nicht tut und damit diese Wahl beeinflusst? Das ist möchtegerndemokratische Einfältigkeit.

Hauptinstrument der Wehrhaftigkeit der deutschen Demokratie ist der Artikel 21 Absatz 2, des Grundgesetzes, in dem es um das Verbot einer Partei geht, bei der man nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger davon ausgehen muss, dass sie die Grundordnung beeinträchtigen will. Weder Bundesrat noch Bundestag oder Bundesregierung hatten bisher die Traute, einen solchen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht zu stellen. Das Verfahren dauere zu lang, hieß es, und der Ausgang sei zu unsicher. Die Rede war davon, dass man die Auseinandersetzung nicht juristisch, sondern politisch führen müsse. Wie das dann konkret aussieht, konnte man jetzt im TV-Wahlkampf erleben: Es gibt ein Einknicken vor der Wucht der Prozente der AfD, und dieses Einknicken wird zur politischen Klugheit erklärt. Diese angebliche Klugheit besteht leider oft in der Dummheit, dass sich die anderen Parteien auf die Forderungen der AfD partiell einlassen. Auf diese Weise rückt die Republik in toto nach rechts. Gäbe es schon ein Verbotsverfahren in Karlsruhe, hätte auch die TV-Auseinandersetzung der vergangenen Wochen andere Schwerpunkte gehabt.

Man gewinnt Wähler nur mit Entschlossenheit zurück

Die AfD wird immer extremistischer, aber die Scheu vor einem Verbotsverfahren wächst mit der numerischen Größe der AfD. Es fehlen der Mut, das Selbstbewusstsein und die Selbstachtung, die man zur Verteidigung der Demokratie braucht. Es schwingt gewiss auch die Angst vor dem Zorn der AfD-Wähler und AfD-Liebäugler mit. Denen soll und muss man freilich deutlich sagen, dass man sie nicht automatisch deswegen für Neonazis hält, weil sie AfD wählen. Und zugleich müssen sie verstehen, dass ihre Stimmabgabe kein akzeptables Zeichen ihrer Unzufriedenheit ist. Man gewinnt sie mit Entschlossenheit zurück, nicht mit Zögerlichkeit. Schon gar nicht darf man sich von den Tiraden abschrecken lassen, wie sie US-Vizepräsident Vance bei der Sicherheitskonferenz in München losgelassen hat, als er die Verteidigung von Demokratie und Menschenwürde als Selbstvergiftung verhöhnte. Die USA werden in den Trump-Jahren erfahren, dass eine Demokratie nicht per se stark genug ist, um ihren Feinden zu widerstehen. Sie braucht Wehrhaftigkeit. Sie braucht keine Autoritären, aber Autorität. Es wäre daher gescheit, wenn der neue Bundestag schon in seiner ersten Sitzung einen Verbotsantrag gegen die AfD beschließen würde: Friedrich Merz würde, wenn er diesen Antrag unterstützt, auf Anhieb alle Zweifel an seinem Kurs gegenüber der AfD beseitigen.

Ein Verbotsverfahren in Karlsruhe wird eine große klärende Debatte über die Kriterien der Demokratie erzwingen. US-Vizepräsident Vance hat in seiner Münchner Rede so getan, als sei Demokratie nur eine Abstimmungsprozedur und als seien Hetz- und Lügenreden Meinungen, denen die Freiheit und Verbreitung gewährt werden muss. Das stimmt nicht – und ein Verbotsverfahren wird das deutlich machen: Demokratie ist eine Wertegemeinschaft. Die Werte stehen in der Verfassung. Es ist höchste Zeit, mit aller Kraft, auch mit aller juristischen Kraft, für sie zu streiten. Das ist streitbare Demokratie.

Hinweis: Diese Kolumne erschien zuerst am 20.02.2025 in der Süddeutchen Zeitung.