Die Kirchen achten auf die Brandmauer zur AfD. Die Merz-CDU tut das nicht mehr.
Kolumne von Heribert Prantl
Die CDU befindet sich nicht nur im Wahlkampf. Sie befindet sich im Stadium der Umwandlung. Friedrich Merz, der Parteichef, Fraktionschef und Kanzlerkandidat, verwandelt das „C“ im Parteinamen in ein „K“: Aus der Christlich Demokratischen Union wird eine KDU, eine Konservativ Demokratische Union. Und als Kern des konservativen Gemüts identifiziert Merz die Sehnsucht danach, Migranten abzuweisen und rauszuschmeißen – zumindest diejenigen, aus denen Deutschland keinen Mehrwert ziehen kann. In dieser Sehnsucht rumoren auch die Gespenster, die Seehofer und Söder, Spahn und Merz immer wieder rufen und gerufen haben. Merz gibt mit Tremolo den Lautsprecher für „Volkes Stimme“. Er liebt es, Ängste zu befeuern, die in den Geflüchteten vor allem Konkurrenten für Zahnarzttermine und Täter von Gruppenvergewaltigungen sehen. Damit rückt er maximal ab von dem, was die Kirchen als christliches Menschenbild beschreiben.
Merz macht sich zum Propagandisten der „Globalisierung der Gleichgültigkeit“, die Papst Franziskus seit dem Jahr 2013 in so vielen seiner Reden angeprangert hat. Die rigorose Abweisung aller Flüchtlinge an der deutschen Grenze ist das Zentrum der von Merz verfochtenen Migrationswende, für die er sich im Bundestag in zwei Abstimmungen gezielt der Stimmen der AfD bedient hat. Die AfD steht ihm dabei viel näher als die katholische und die evangelische Kirche. Merz unterschätzt das (wenn auch geschwundene) gesellschaftspolitische Gewicht der Kirchen. Die vor gut einem Jahr veröffentlichte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung ergab: Es stimmt nicht, dass die meisten Christen gegen die kirchliche Parteinahme für Geflüchtete sind. Das Gegenteil ist der Fall. Die überwiegende Mehrheit aller Kirchenmitglieder und auch der Konfessionslosen begrüßt den konsequenten Einsatz der Kirche für sie.
In der von Merz verfochtenen Flüchtlingspolitik ist kein Raum für Schutz und Hilfe, kein Raum für Einzelfallprüfung, natürlich auch kein Raum für Kirchenasyl. Kein Raum heißt auch: immer weniger finanzielle Mittel für Integration. Es ist aber viel Raum für die Zustimmung der AfD. Der Wahlkampf von Merz propagiert den Exodus der Menschlichkeit. Er zerbricht den Schutz für die Schwächsten der Schwachen. Die grobe Mitleidlosigkeit und der verächtliche Verwertungszynismus, die sich auch noch als bürgerliche Tugenden geben, lassen sich nicht auf den Umgang mit Geflüchteten begrenzen. Diejenigen, die ihr rohes Reden als Vernunft verkaufen, machen sich zu wenig klar, wie dies soziale, besser gesagt asoziale Mentalitäten prägt. Heute gelten die Geflüchteten als Sicherheitsrisiko. Wann wird es die psychisch Kranken treffen? Einige Politiker forderten bereits nach den Taten von Magdeburg und Aschaffenburg, die psychisch Kranken sicherheitspolitisch mehr unter die Lupe zu nehmen.
„Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar.“
Die katholischen Bischöfe haben schon vor Monaten glasklar festgestellt: „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar.“ Die Synode der Evangelischen Kirche, die Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs und der Diakoniepräsident Rüdiger Schuch haben sich ebenso deutlich geäußert und betont, dass die menschenverachtende Politik, für die die AfD steht, dem christlichen Verständnis vom Menschen, von Nächstenliebe und Barmherzigkeit widerspreche: Kirchlicher Dienst, christliche Wohlfahrt, Caritas und Seelsorge sind deshalb mit einer Arbeit in der und für die AfD unvereinbar. In den C-Parteien gibt es solche Unvereinbarkeiten nicht. Deshalb ist es richtig und umso wichtiger, dass die christlichen Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände Kampagnen zur Bundestagswahl gestartet haben und dazu aufrufen, sich für den Sozialstaat und gegen die Spaltung der Gesellschaft zu entscheiden. Friedrich Merz hat sich anders entschieden.
Armin Laschet, der damalige CDU-Kanzlerkandidat, hatte im letzten Bundestagswahlkampf an der falschen Stelle gelacht. Sein Lachen während der Rede des Bundespräsidenten im Hochwassergebiet war ein Missgeschick – mit bitteren Folgen für ihn und die CDU. Das Manöver des aktuellen CDU-Kanzlerkandidaten, sich im Bundestag von der AfD unterstützen zu lassen, war kein Missgeschick. Es war seine Entscheidung. Man mag sie lächerlich finden, aber sie ist nicht zum Lachen. Sie war und ist ein krasser, ein historischer Fehler.
Die Merz-Entscheidung verschiebt das Koordinatensystem der Politik. Die feixende Ausgelassenheit der AfD-Abgeordneten nach der Abstimmung zeigte, was diese Abstimmung dem rechten Rand bedeutet: die Nobilitierung. Merz beteuert, dass das ganz und gar nicht so sei, weil er nicht nach links und nicht nach rechts schaue. Das sollte er aber tun. Mit dieser Abstimmung öffnet sich die Tür zu einer Minderheitsregierung der Union, die dann gegebenenfalls auch von der AfD toleriert wird. AfD-Stimmen wären dann keine verlorenen Stimmen mehr; die Migrationsabstimmung war ein bitterer Vorgeschmack.
Merz’ Politik schafft ein Klima der Angst unter den Zugewanderten
Merz propagiert, was die Rechtsdraußenparteien AfD und FPÖ propagieren. Das gilt auch in der Integrationspolitik: Merz will für Doppelstaatsbürger die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft als Strafe einführen. Bürgerinnen und Bürger, die eine deutsche und noch eine weitere Staatsbürgerschaft haben, sollen ausgebürgert werden können, wenn sie eine Straftat begangen haben. Merz macht so Deutsche mit migrantischen Wurzeln zu Minderdeutschen. Das klingt wie eine Vorstufe zu den Remigrationsplänen der Rechtsextremisten, das schafft ein Klima der Angst auch unter den Zugewanderten, die schon lange im Land sind – und das stört den inneren Frieden.
Die Kirchen und Wohlfahrtsverbände haben die Brandmauer zur AfD viel stabiler errichtet als die Merz-CDU. Sie können, wollen, dürfen und müssen durch die Anwendung der selbstauferlegten Standards zeigen, was sie von der AfD und ihren Kandidaten halten. Nämlich: Grundrechte sind nicht dafür da, um mit ihnen die Grundrechte zu bekämpfen. Parlamente sind nicht dafür da, um von dort aus den Sturz der rechtsstaatlichen Grundordnung vorzubereiten. Und soziale Einrichtungen sind nicht dafür da, dass die dort zu betreuenden Menschen von den Beschäftigten missachtet werden. Das ist der Geist der Menschenwürde. Er sollte in den C-Parteien lebendig bleiben.
Hinweis: Diese Kolumne erschien zuerst am 06.02.2025 in der Süddeutchen Zeitung.