Warum Deutschland, wenn es um Flüchtlinge geht, keine Trump’sche Politik machen sollte. Die Diffamierung der Migranten schadet allen.
Kolumne von Heribert Prantl
An diesem Freitag ist Valentinstag, diesmal kein Tag mit Rosen, kein Tag in Rosa, sondern in Schwarz. Die Opfer aus München hatten vielleicht schon den Strauß für ihre Liebsten besorgt, den Gruß geschrieben, das Essen bestellt, um zu feiern. Am Tag der Liebenden wächst der Hass auf Menschen wie den afghanischen Täter, aber nicht nur auf ihn, sondern auf die, die so aussehen wie er, seine Religion teilen, auf alle, die Asyl suchen. Täter wie der 24-Jährige geben ihm Nahrung. Sie zerstören Leben, sie zerstören Vertrauen, sie zerstören den guten Willen. Und sie zerstören auch das Recht. Sie töten nicht nur in Kabul, Khartum und Damaskus, sie töten auch in deutschen Städten. Sie sind Gewächse der entgrenzten Gewalt.
Die vielen Gewaltopfer und die wenigen Gewalttäter – beide leben hier in Deutschland. Es ist allerbitterste Ironie, dass diese wenigen es schaffen, die vielen nochmals zu ihren Opfern zu machen; sie knicken den Strohhalm namens Asylrecht, an dem die Geflüchteten sich festhalten wollen. Wenn das Asylrecht Beine hätte, würde es wohl vor den terroristischen Zerstörern fliehen und selbst Asyl suchen – einen Schutzraum, in dem es unangetastet bleibt.
Dieses Grundrecht hat an diesem Valentinstag ein paar Verehrer bitter nötig, solche, die sich gerade in so bedrängter Zeit nicht schämen, ihm Liebeserklärungen zu machen. Dazu braucht man derzeit dieselbe Portion Mut, die man dafür aufwenden müsste, eine Warzenkröte zu küssen. Im ganzen Wahlkampf 2025 hat es kein einziges gutes Wort für den Flüchtlingsschutz und die Integration von Geflüchteten gegeben. Sie sind die Ungeliebten im Land. Das Asylrecht gilt bei den Wahlkämpfern fast aller Parteien als von A bis Z negativ.
Es ist angeblich gar nichts hell, es ist angeblich alles dunkel – im bundesdeutschen und im europäischen Recht. In den Wahlkampfveranstaltungen ist nur noch von Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg, also nur noch von Verbrechen die Rede. Das ist emotional verständlich, aber unangemessen, das ist gefährlich und falsch. Es gibt eklatante Fehler in der Organisierung und der Realisierung des Asyls; aber nicht das Asyl per se ist eine Katastrophe, sondern die Art und Weise, wie darüber geredet wird. Deutschland hat nicht die Kontrolle über Migration verloren. Außer Kontrolle gerät die politische Rhetorik. Der Wahlkampf macht auch das Gute schlecht. Anti-Humanität ist Mode geworden.
Im TV-Duell am vergangenen Sonntagabend hatte das Thema Asyl den vordersten Platz und die längste Zeit, aber da gab es kein einziges gutes Wort für Flüchtlinge oder für den Flüchtlingsschutz. Da gab es kein einziges gutes Wort für die großen und oft erfolgreichen Anstrengungen des Staats, der Kirchen und der Wohlfahrtsverbände, Menschen in und aus höchster Not zu helfen, sie aufzunehmen und hier in die Gesellschaft zu integrieren. Es gibt kein Wort der Achtung für die einschlägigen Regeln der EU-Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und dafür, dass Deutschland sich müht, diesen Regeln gerecht zu werden und die Menschenrechte hochzuhalten. Der Wahlkampf gefällt sich in der Abqualifizierung der Hilfe, die gewährt wird, und er macht diese Zuwendung auf fast trumpistische Weise schlecht.
Angesichts der alternden Bevölkerung in Deutschland tragen Asylsuchende zur Verjüngung der Gesellschaft bei.
Da gibt es kein Gramm Stolz darauf, dass Deutschland so viele Menschen vor dem Sterben rettet. Da gibt es keine Freude darüber, dass Deutschland so vielen schutzbedürftigen Menschen Schutz gewährt. Da gab es kein Wort der Anerkennung dafür, dass die Integration in Deutschland gar nicht so schlecht funktioniert. All das zählt offenbar nichts in diesem Wahlkampf, all das gilt nichts, all das ist nicht der Rede wert. Es ist nicht die Rede von der Ärztin aus Afghanistan, die in Deutschland die Abschlüsse nachgemacht hat, die sie brauchte und jetzt hier praktiziert. Und da ist auch nicht die Rede von der Bäckerei in Bayern und dem Bauunternehmen in Berlin, die hochzufrieden mit Geflüchteten arbeiten; auch nicht vom Oberbürgermeister, der berichtet, dass seine Stadt ohne syrische Flüchtlinge längst das Krankenhaus und die Pflegeheime hätte schließen müssen.
Es fällt stets das Wort Belastung, aber kein einziges Mal das Wort Bereicherung. Stattdessen gibt es einen scharfen rhetorischen Wettbewerb darüber, wer bei der Abwehr migrantischer Menschen radikaler ist: Die SPD will zu diesem Zweck alle nur denkbaren legalen Mittel, die CDU/CSU auch illegale Mittel einsetzen. Die Präsentation solcher Forderungen ist der Hauptinhalt des gegenwärtigen Wahlkampfs.
Seit 2005 haben fast 2,4 Millionen Menschen an Integrationskursen teilgenommen. Die Erwerbstätigenquote von Eingewanderten in Deutschland liegt bei siebzig Prozent und damit viel höher als in vielen anderen EU-Staaten. Jedes vierte Unternehmen in Deutschland beschäftigt Geflüchtete. Die Unternehmen heben deren hohe Motivation und Lernbereitschaft hervor. Angesichts der alternden Bevölkerung in Deutschland tragen Asylsuchende zur Verjüngung der Gesellschaft bei. Das sind Punkte, die nicht zu verachten sind, die aber missachtet werden.
Der gesamte Migrationsdiskurs ist nicht auf der Höhe der Realität. Deutschland braucht Zuwanderung; das weiß Merz, das weiß Scholz. Mit dem Renteneintritt der Babyboomer werden dem Arbeitsmarkt sieben Millionen Arbeitskräfte verloren gehen. Deutschland braucht einen Nettozuwachs von etwa einer halben Million Menschen jährlich. Mit den Flüchtlingen aus der Ukraine funktioniert das derzeit vorübergehend. Das Zuwanderungsgesetz und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz allein bringen aber mittel- und langfristig den benötigten Zuwachs nicht. Da wird man auch von den Schutzsuchenden profitieren müssen und können. Das Asyl in toto zu bemakeln und in seinem historischen Rang und in seinem humanitären Wert klein zu reden, ist daher kleingeistig und falsch. Und wenn ein Historiker wie Heinrich August Winkler dafür plädiert, das Asyl aus dem Recht hinauszukegeln, vergeht er sich an der Geschichte. Die feste juristische Verankerung des Asyls war dem Parlamentarischen Rat 1949 ein Herzensanliegen. Sie gehört heute zur europäischen Rechtskultur.
Hinweis: Diese Kolumne erschien zuerst am 13.02.2025 in der Süddeutchen Zeitung.