KI ist nicht künstlich: Sie ist potenzierte und destillierte menschliche Intelligenz. Das hat rechtliche Folgen, die dringend geklärt werden müssen.

Von der KI wird geredet wie von einem neuen Universum. Das alte Universum ist bekanntlich mit einem Urknall entstanden und dehnt sich seitdem immer weiter aus. So knallig und raumgreifend wollen das auch die Start-up-Firmen sehen, die im und mit dem neuen KI-Universum ihre Geschäfte machen: Sie tun so, als stünde am Beginn der sogenannten künstlichen Intelligenz ein Big Bang. Aber das stimmt nicht. Schon der Name „künstliche Intelligenz“ ist falsch; er stimmt so wenig, wie das Wort von den sozialen Medien für die digitalen Medien stimmt. Die künstliche Intelligenz ist nicht aus dem Nichts entstanden.

Von nichts kommt nichts. KI beruht auf der maschinellen Auswertung der kreativen Produkte von Menschen: Künstliche Intelligenz ist addierte, multiplizierte, potenzierte und destillierte menschliche Intelligenz, sie schöpft ihr Wissen, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten aus der schöpferischen und geistigen Kraft von Urhebern. In den Prozessen, die derzeit Künstler aller Branchen an vielen Gerichten der Industriestaaten führen, bestreiten sie die Urknall-Theorien der KI-Firmen. Die Komponisten und Dichter, die Schriftsteller, Musiker und Maler, die Synchronsprecher und Schauspieler, die kreativen Berufe also, ihre Agenturen und Verwertungsgesellschaften: Sie versuchen, derzeit mit unterschiedlichem Erfolg, das Bewusstsein dafür zu wecken und wachzuhalten, dass die sogenannte künstliche Intelligenz sich von menschlicher Intelligenz nährt und diese Nahrung Geldwert hat – und also die KI-Industrie darauf nicht ganz umsonst zugreifen darf.

Wenn Maschinen Gedichte schreiben wie Ernst Jandl

Die KI-Industrie, überwiegend in der US-Welt zu Hause, verteidigt sich mit der dort geltenden Fair-Use-Lehre. Sie behauptet, sie dürfe geistiges Eigentum, auch wenn es eigentlich durch ein Copyright geschützt ist, für das Training ihrer KI-Modelle nutzen; so dekretiert das auch der Präsident Donald Trump, der von Geist und von Recht ohnehin wenig hält. Die KI-Industrie schiebt für ihren ungenierten Zugriff die Begründung nach, es handele sich um eine faire Nutzung, weil die Originale dabei verändert würden, weil also in einem „transformativen Prozess“ kraft KI Neues entstünde. Unfair und gemeinschädlich ist es freilich, wenn das so entstehende KI-Produkt dann mit dem alten Original konkurriert und für dessen Schöpfer damit wirtschaftlicher Schaden entsteht. Dann wird aus dem Copyright ein Copywrong.

Bei den Angehörigen der kreativen Berufe kocht und brodelt deswegen ein Ungerechtigkeitsgefühl. Tobias Holzmüller, Vorstand der Gema, beschreibt es so: „Da hat man 30 Jahre lang Schlager oder Filmmusik gemacht, und dann kommt eine Maschine, liest das alles ein und tritt mit diesen Erfahrungen und Fertigkeiten beim nächsten Auftrag gegen die Menschen an.“ Mit den Maschinen, die so gegen den Menschen antreten, sind Textgeneratoren wie Chat-GPT gemeint, Bildgeneratoren wie Dall-E oder auch Musikgeneratoren wie Suno AI oder Aiva, die große Mengen klassischer und moderner Musik analysieren und daraus neue Musikstücke generieren – nach Nutzervorgaben, die Genre, Stimmung oder Instrumentierung betreffen. KI-Maschinen können auch Prosa schreiben wie von John Grisham und Dani Shapiro, oder Gedichte wie von Ernst Jandl. Sie können all das aber nur, wenn sie zuvor auf das von kreativen Menschen geschaffene geistige Eigentum zugreifen, das eigentlich vom Urheberrecht geschützt ist.

Die KI sagt zu Diebstahl „Training“. Das ist Heuchelei

Für diesen Zugriff hat die KI-Industrie den schönen Namen „trainieren“ erfunden. Solch verharmlosende Begriffe für die Nutzung von fremdem Eigentum gibt es seit jeher: Man sagt, dass man sich etwas „besorgt“, „organisiert“, „abstaubt“, dass man etwas „mopst“, „grapscht“, „stibitzt“. Das „Training“ der KI-Maschinen mit Werken, die andere geschaffen haben, ist von all diesen beschönigenden Vokabeln die beschönigendste, es ist heuchlerisch. Das Wort Training macht aus dem ganz großen Zugriff etwas Feines, vermeintlich Respektheischendes. Würde so etwas nicht mit geistigem Eigentum, sondern mit Autos, Rollern oder Fahrrädern gemacht, wäre das, weil massenhaft betrieben, organisierte Kriminalität – ein strafbarer unbefugter Gebrauch von Fahrzeugen.

Nun geht es nicht darum, die KI-Industriellen wegen illegalen Trainings zu bestrafen. Es geht darum, ihnen klarzumachen, dass die Nutzung von geschützten Werken nicht deswegen gemeinfrei, also kostenlos ist, weil sich eine Maschine darüber hermacht. Die KI verfährt mit diesen Werken so, wie die Zeitungen in ihrer Frühzeit mit dem Inhalt anderer Zeitungen verfuhren: Ihr Inhalt diente stets als wichtigste Stoffquelle. Man berief sich auf Observanz: Was in anderen Zeitungen gedruckt sei, dürfe man verwerten. Zürichs älteste Wochenzeitung, die Wöchentliche Ordinari- & Extraordinari Zeitung, erstmals erschienen 1674, trug den Untertitel: „Das ist auß allerhand anderswo gedruckten Zeitungen zusammengesetzt und dem begierigen Leser mitgeteilt“.

Man bedient sich ungeniert anderswo – das gab es schon einmal

Die Redakteure selbst von angesehenen Blättern hatten, wie Kurt Koszyk in seiner „Geschichte der deutschen Presse“ bemerkt, „keine Skrupel, Korrespondenzen anderer Zeitungen ohne Quellenangabe auszuschlachten“. Es sei Brauch gewesen, aus den soeben eingetroffenen auswärtigen Blättern schnell einen Brief zu fertigen, dessen Verfasser vorgab, er befinde sich am Ort des Geschehens. So habe Georg Hesekiel 1849 die „französischen Artikel“ der Neuen Preußischen Zeitung nicht in Paris, sondern in Berlin geschrieben. So ähnlich, natürlich auf einem ganz anderen technischen Niveau, arbeiten heute Open AI oder Google in ihren Antworten auf die Fragen der Nutzer; man bedient sich ungeniert anderswo. Allmählich, mit zunehmender Eigenarbeit der Zeitungen, wurde einst deren Inhalt in den Schutzbereich der Urheberrechtsgesetze immer weiter einbezogen. Gesetzgeber und Wissenschaft verteilten den Zeitungsinhalt auf Stufen verschiedener rechtlicher Qualität; als völlig ungeschützt blieben schließlich nur noch die Nachrichten übrig.

Es geht, heute wie damals, um einen Ausgleich zwischen den Interessen der Urheber, der Verwerter und der Nutzer. Ob es zu einem solchen Ausgleich kommt, entscheidet sich in den schwebenden Gerichtsprozessen weltweit. Ohne die massive Hilfe der Justiz ist das Urheberrecht wegen des Zusammenwirkens von amerikanischer und chinesischer Politik faktisch erledigt; weil sich beide keinen Dreck darum scheren.

Hinweis: Diese Kolumne erschien zuerst am 07.08.2025 in der Süddeutschen Zeitung.