Das Schlechte an manchen guten Büchern ist: Sie sind zwar finessenreich und feinnervig komponiert, trotzdem legt man sie mittendrin entnervt und verstohlen aus der Hand, liest vielleicht noch das Ende, um mitreden zu können – weil sie, nun ja, doch etwas langweilig sind. Zumindest mir geht es so, denn ich mag mich fesseln lassen, ich habe, ich gebe es zu, eine gewisse Schwäche für Schmöker und bin durchaus auch anfällig für den Showdown am Schluss und diese zufrieden wehmütige Leere am Ende der letzten Seite, wenn man das Buch am liebsten ausklopfen möchte, damit noch ein paar Sätze herausfallen. Es ist eine reizvolle Vorstellung, Elisabeth II., einst als „souveräne Leserin“ auf den literarischen Sockel gestellt, hätte mit diesem lese- und lebenssatten Gefühl das Zeitliche gesegnet, nachdem sie den neuen Roman des britischen Schriftstellers und ehemaligen politischen Journalisten Robert Harris ausgelesen hatte. Der nämlich hat, man mag unabsichtliche britische Ironie darin sehen, eine Woche vor dem Ableben der Queen und bevor es für Charles III. hieß „Long live the King!“, eine packende Geschichte herausgebracht, die in die Zeit von Charles I. und Charles II. führt – in die Zeit der Revolution des Oliver Cromwell, dessen Tod und der Wiederherstellung der Monarchie im England des 17. Jahrhunderts. „Act of Oblivion“ heißt der englische Titel, der deutsche: „Königsmörder“.

Robert Harris ist bekannt für die exzellenten Recherchen, die er seinen historischen Romanen zugrunde legt, zu deren bekanntesten die Cicero-Trilogie gehört. Diesmal nimmt er seine Leser mit auf die Jagd nach zwei „Königsmördern“, dem Cromwell-Cousin Edward Whalley und seinem Schwiegersohn William Goffe, die zusammen einst das Todesurteil für Charles I. mitunterzeichnet hatten. 1660, nach dem Scheitern der puritanischen Revolution, verlassen die beiden ihre Familien und fliehen nach Amerika unter den Schutz puritanischer Kolonisten, die keine Freunde des neuen Königs Charles II. sind.

Wo Gejagte sind, gibt es auch einen Jäger. Als den erfindet Robert Harris die Figur des Richard Naylor, ein Verfolger aus Leidenschaft, Katholik und Royalist, der davon besessen ist, die zwei zur Strecke zu bringen. Es gelingt Harris, die atemberaubende Verfolgungsjagd und das raffinierte Versteckspiel nicht als Helden- und Bösewichtstory zu inszenieren. Er bringt das Kunststück fertig, die Charaktere sowohl in ihrer befremdenden Besessenheit und ihren wahnhaften Irrtümern als auch in ihrer aufrichtigen Passion, in ihrer Doppel- und Vieldeutigkeit zu zeichnen, und zudem so, dass sowohl die rigiden Puritaner als auch der rachedurstige Katholik das Herz der Leser rühren und ihre Sympathie gewinnen. Durch Rückblenden und durch den Kniff, den alten Colonel Whalley seine Memoiren schreiben zu lassen, reist man über die Kontinente, steht am Schafott des Königs und wohnt der Exhumierung Cromwells bei. Man reist zu dessen Schlachten und Niederlagen. Man wird Zeuge der Pest, die in England wütet, und des großen Brandes, der London zerstört. Man begleitet die Flüchtenden in die puritanischen Gemeinschaften und in die Welt der Indianer.

King Charles III., so denke ich, wird das Buch über seine ermordeten Vorfahren schon gelesen haben – in der englischen Originalfassung. Sie sollten es ihm nachtun. Sie werden auf jeden Fall bis zu seiner Krönung am 6. Mai wissen, wie es ausgeht.

Robert Harris: Act of Oblivion. Der Roman-Thriller ist 2022 im Hutchinson Heinemann Verlag erschienen, er hat 480 Seiten und kostet bei Amazon 23,99 Euro.

Die deutsche Ausgabe ist mit dem Titel Königsmörder 2022 im Heyne-Verlag erschienen und kostet 24 Euro.

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