Der Rundfunkbeitrag dient der demokratischen Grundversorgung. Die kann man nicht herbeisparen. Daher muss der gemeinsame Kultursender Deutschlands, Österreichs und der Schweiz erhalten bleiben.

Kolumne von Heribert Prantl

Eurovision – das ist ein wunderbares Wort; es klingt, als sei von einem Blick in ein Paradies die Rede. Das liegt vor allem an der festlich-feierlichen Musik, mit der im Fernsehen die sogenannten Eurovisionssendungen eingeleitet werden. Die erklingt nicht nur, bevor der päpstliche Ostersegen aus Rom gesendet wird, oder dann, wenn vor den Europawahlen die Debatten der Vorsitzenden der europäischen Parteien übertragen werden. Sie ertönt auch dann, wenn eine Sendung wie „Wetten, dass..?“ folgt oder „Verstehen Sie Spaß?“; sie adelt den „Musikantenstadl“ ebenso wie den „Eurovision Song Contest“.

Diese Erkennungs- und Eröffnungsmusik wird landläufig „Europafanfare“ genannt; es handelt sich um das Hauptthema aus dem Präludium des Te Deum von Marc-Antoine Charpentier, einem Komponisten aus der Zeit Ludwigs des Vierzehnten. Seine paar Takte betonen immer wieder, dass Europa viel mehr ist als die Summe seiner Fehler: Europa ist ein Wunder und die Europäische Union das Beste, was dem Kontinent in seiner langen Geschichte passiert ist. Und die paar Takte erinnern ganz grundsätzlich daran, was Fernsehen kann: Gemeinschaft stiften, auch europäische Gemeinschaft.

3sat ist Eurovision in höchst umfassendem Sinn

Die Eurovision als TV-Ereignis gibt es seit 1954, also seit siebzig Jahren: Es handelt sich um eine Einrichtung der Europäischen Rundfunkunion mit Sitz in Genf zum (möglichst kostenfreien) Austausch von TV- und Radioprogrammen und zur Koproduktion von Sendungen. Als Eurovision wurde 35 Jahre lang „Aktenzeichen XY … ungelöst“ produziert, die Fahndungssendung des ZDF, zusammen mit Österreichs ORF und dem Schweizer SRF. Als Eurovision wird jährlich auch das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker aus dem Großen Saal des Musikvereins in viele Dutzend Länder übertragen. Solche Eurovision ist wie ein kleines Blinzeln in eine europäische Zukunft.

Das Programm des Senders 3sat ist sehr viel mehr als ein Blinzeln, es ist Eurovision in einem umfassenderen Sinn. Der Sender 3sat heißt so, weil hier öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten der drei Staaten Deutschland, Österreich und Schweiz gemeinsam einen Sender betreiben, der sich auf ein anspruchsvolles Kultur- und Informationsprogramm konzentriert. Seit 1984 ist dieses gemeinsame Programm der deutschsprachigen Länder auf Sendung, das Sendezentrum liegt am ZDF-Hauptsitz in Mainz; es glänzt unter anderem mit dem Kulturmagazin „Kulturzeit“, dem Wissenschaftsmagazin „Nano“ und dem Nachrichtenmagazin „ZiB2“; Letzteres ist eine Übernahme aus Österreich und gilt mit dem Moderator Armin Wolf als das beste deutschsprachige Nachrichtenmagazin. Der Sender 3sat weitet den deutschen Blick ins Mitteleuropäische – so wie der deutsch-französische Kultursender Arte den Blick ins Westeuropäisch-Frankophone weitet. Beide Sender, 3sat und Arte, stehen (nicht zuletzt mit den Filmen, die dort gezeigt werden) dafür, dass nicht die Zuschauerquote den Rundfunkbeitrag rechtfertigt, sondern die Qualität.

Das Sparpotenzial wäre relativ bescheiden

Nach den Plänen der Rundfunkkommission der deutschen Länder soll dieses Qualitätsbündnis nun enden: 3sat soll eingespart, der Sender soll irgendwie Arte zugeschlagen werden. Das wäre ein Fehler, das wäre eine antieuropäische Untat, ein gewaltiger Verlust; und das Einsparpotenzial wäre vergleichsweise bescheiden. Eingespart würde ausgerechnet dort, wo nicht noch weiter reduziert werden darf – im Bereich von Kultur und Information. Beides gehört zur Grundversorgung; beides ist der Grund dafür, dass die öffentlich-rechtlichen Sender Rundfunkbeiträge eintreiben dürfen. Die öffentlich-rechtlichen Sender sind zuständig für den Nährwert, die privaten Sender sind zuständig für den Genusswert, also für Unterhaltung. Die einen liefern das tägliche Brot für die Demokratie, die anderen liefern Spiele, Chips und Cola. Man nennt diese Einteilung „duales System“.

So ist es in der Theorie; die Praxis ist anders – vor allem deswegen, weil die öffentlich-rechtlichen Sender süchtig danach sind, immer mehr Chips zu liefern. Sicherlich gehört auch Unterhaltung zur Grundversorgung; aber mit Maß und Ziel. Wer die Programme von ARD und ZDF verfolgt, stellt fest, dass es dieses Maß immer weniger gibt und dass immer mehr Grundversorgung nach Arte, 3sat und Phoenix, also in die sogenannten Spartensender, abgeschoben wird.

3sat ist ein Stück Europa, Arte auch

Es sind dies aber eigentlich gar keine Spartensender; es sind dies die Sender, in denen der öffentlich-rechtliche Programmauftrag noch ernst genommen wird. Es kann und darf nicht sein, dass auch davon noch weggehauen und weggespart wird; genau das geschieht. Und es kann und darf auch nicht sein, dass der europäische Anteil des deutschen Fernsehens reduziert wird; die Europäisierung muss vorangetrieben, nicht reduziert werden. 3sat ist ein Stück Europa, Arte auch. Diese Stücke sollen gepflegt und ausgebaut werden. Und diese Pflege sollte den bundesdeutschen Ministerpräsidenten angelegen sein, wenn sie in Kürze über Beiträge und Reformen entscheiden müssen.

Es gibt eine schöne Bemerkung eines Bildhauers darüber, ob es schwierig ist, einen Löwen aus Marmor zu hauen. Der Künstler erklärt: „Es ist eigentlich ganz einfach; Du musst alles weghauen, was nicht nach Löwe aussieht.“ Die Programmverantwortlichen für das öffentlich-rechtliche System wenden das Prinzip seit Jahren sehr eigenwillig und kontraproduktiv auf das deutsche Fernsehen an: Sie hauen alles weg, was nicht Unterhaltung ist. Die Demokratie braucht aber die öffentlich-rechtlichen Sender nicht als Abklatsch der privaten. Die Demokratie braucht diese Sender als „Informations-, Kommunikations- und Kulturträger“, wie dies das Bundesverfassungsgericht formuliert und gefordert hat. Der Bildungsanspruch darf nicht banalisiert, der Programmauftrag nicht zerkrümelt werden.

Europa ist, um ein altes Wort aus der Rechtsgeschichte zu gebrauchen, die „Concordantia discordantium“, die ausgleichende Zusammenstellung und Vereinigung des Verschiedenen: Europa fügt zusammen. Das darf, das soll, das muss auch für das Fernsehen gelten, weil es gemeinschaftsbildende Kraft hat. Es ist daher gut, wenn es 3sat gibt; es ist daher gut, wenn es Arte gibt. Das ist Eurovision. Man braucht mehr davon, nicht weniger.

Hinweis: Diese Kolumne erschien zuerst am 09.10.2024 in der Süddeutchen Zeitung.