Der Bauernkrieg vor fünfhundert Jahren war auch ein Krieg der Bäuerinnen und der Bürgerinnen. Die Jubiläumsausstellungen beenden die historische Marginalisierung der Frauen.
Kolumne von Heribert Prantl
Jeder kennt Götz von Berlichingen; keiner kennt Magdalena Scherer. Beide sind wichtige Figuren im Bauernkrieg von 1525, beide kämpften sie auf der Seite der Aufständischen. Beide haben sich gegen die Ungerechtigkeiten erhoben, beide haben sie deswegen die Obrigkeit attackiert und provoziert. Götz von Berlichingen ist der Ritter, den Goethe in seinem gleichnamigen Stück mit dem berühmten Satz zitiert: „Vor Ihro Kaiserliche Majestät hab ich, wie immer, schuldigen Respekt. Er aber, sag’s ihm, er kann mich im Arsch lecken!“ Götz sagt das zum Boten des Hauptmanns der feindlichen Truppen; es war seine Antwort auf dessen Aufforderung, sich zu ergeben.
Magdalena Scherer brachte ihren Zorn auf ähnlich deftige Weise zum Ausdruck: Sie war eine Aktivistin des Widerstands gegen Feudalherrschaft, Ausbeutung und Unterdrückung. Sie war Geschäftsfrau, sie betrieb ein öffentliches Badehaus; das war ein gesellschaftlicher Treffpunkt damals. Magda Scherer nutzte ihn als lokale Kommunikationszentrale im Krieg der Bauern. Sie organisierte, sie mobilisierte – und sie präsentierte den Gegnern in aller Öffentlichkeit ihr entblößtes Hinterteil. Das war Agitation, das war Provokation, das war – Revolution.
Die Rolle der Frauen im Bauernkrieg ist bislang nicht beachtet worden. Darüber hat kein Goethe geschrieben; und Schiller hat sich lieber an Johanna von Orléans gehalten. Er kannte Magdalena Scherer nicht, er kannte auch Margarete Renner nicht, die als erste deutsche Revolutionärin gilt und schon vor dem Bauernkrieg durch ihren Widerstand gegen die Frondienste aufgefallen war. Renner schloss sich einem der Bauernheere an, dem „Neckartaler Haufen“ unter dem Anführer Jäcklein Rohrbach; sie war das Idol der kämpfenden Truppe, sie war eine spirituelle Autorität: Auf einem zeitgenössischen Gemälde sieht man sie vor den Stadtmauern Heilbronns die Aufständischen segnen.
Es geht um Geschlechterrollen in Zeiten der Krise
Der Bauernkrieg war, so der Titel eines Werks des Historikers Peter Blickle, die „Revolution des Gemeinen Mannes“. Der „gemeine Mann“ – das war und ist ein Sammelbegriff für die einfachen Leute, für die breite Masse der Nicht-Herrschenden, für alle, die nicht dem Adel, dem Klerus oder dem Stadtpatriziat angehörten. Der Bauernkrieg war aber nicht nur eine Revolution dieses gemeinen Mannes, sondern auch der gemeinen Frau: Sie zu präsentieren, sie aus der Marginalisierung und Diskreditierung herauszuholen – das ist ein Verdienst der fantastischen württembergischen Landesausstellungen über den Bauernkrieg, die soeben eröffnet wurden. Fantastisch sind diese Ausstellungen nicht einfach deswegen, weil sie feine Objekte präsentieren: Flugblätter, Waffen, Zeichnungen. Eine Federzeichnung von Lucas Cranach zeigt, wie Frauen Geistliche überfallen und verprügeln; es handelt sich selbstredend um katholische Geistliche, Cranach war ja der Trauzeuge von Martin Luther.
So wird der historische Hintergrund des Bauernkriegs deutlich: Es kämpfen hier Frauen und Kleriker gegeneinander als Vertreter der beiden Konfessionen und zugleich als Vertreter von Tugend und Laster. Fantastisch sind die Ausstellungsprojekte deswegen, weil es ihnen gelingt, große Geschichte portioniert in kleinen Geschichten zu erzählen: Sie erwecken Figuren wie Margarete Renner und Magdalena Scherer mittels künstlicher Intelligenz zum Leben – und lassen sie dann nicht nur im Museum, sondern auch auf Instagram beichten und berichten über ein Leben in „Uffrur“, im Aufruhr also. „Pussy Riot im Bauernkrieg“ hat das der Südwestrundfunk genannt.
Zu den Höhepunkten des Aufruhrs gehört die sogenannte Weinsberger Bluttat; sie steht für einen der wenigen Triumphe der Bauern im Bauernkrieg. Graf Ludwig von Helfenstein, verhasst wegen repressiver Willkür, hatte angedroht, aufständische Bauern verbrennen zu lassen. Am Ostersonntag 1525 griffen deshalb sechstausend von ihnen Burg und Stadt Weinsberg an, geführt von Jäcklein Rohrbach, mobilisiert von Margarete Renner. Sie überwältigten den Grafen und seine Landsknechte und ließen sie Spießrutenlaufen – eine damals gängige Form der Hinrichtung. Margarete Renner soll die Aufständischen aufgefordert haben, das Bauchfett des getöteten Grafen zur Pflege ihrer Waffen und Schuhe zu verwenden. So jedenfalls dämonisierten die Feudalherren die Revolutionärin als „blutrünstige Frau“. Solche Geschichten haben Macht. Sie begleiten den Bauernkrieg als negatives Narrativ. Es geht um Geschlechterrollen in Krisenzeiten.
Die Revolution ist noch nicht zu Ende
Eine ganz andere Legende aus Weinsberg ist vierhundert Jahre älter; sie dient der Stabilisierung der Machtverhältnisse: Da lässt sich der König, der die Burg Weinsberg belagert, von einer schönen Weinsbergerin gnädig stimmen und gewährt allen Frauen, die Burg vor der Eroberung zu verlassen und dabei mitzunehmen, was sie tragen können. Am nächsten Morgen kommt ein Zug von Frauen den Berg herunter – und jede trägt ihren Mann auf dem Rücken. Es ist dies eine possierliche und gern tradierte Geschichte über die den Frauen zugedachte Rolle.
An keiner Revolution der deutschen Geschichte haben sich so viele Menschen beteiligt wie am Aufstand der Bauern von 1525. In keiner kamen so ungeheuer viele Menschen ums Leben: Die Bauern und ihre Verbündeten wurden niedergemetzelt, bei lebendigem Leib verbrannt, geköpft und in die Bäume gehängt. Bis zu hunderttausend Menschen kamen so zu Tode, „eine ungeheuerliche Zahl“, so resümierte es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier soeben bei einem Festakt in Memmingen. Der Festakt erinnerte an das spektakulärste Dokument der Bauernkriege, an die Zwölf Bauernartikel von Memmingen: Sie forderten Abschaffung der Leibeigenschaft und Verringerung der brutal hohen Lasten und Abgaben. Sie wünschten sich eine Gesellschaft, in der „brüderliche Gerechtigkeyth“ herrscht. Es war dies der Entwurf zu einer Verfassung von einer menschenrechtlichen Kraft, wie dann bis 1848 keine mehr verfasst wurde.
Es gibt keine Hinweise darauf, dass unter den fünfzig Bauernvertretern, die diese Artikel verabschiedet haben, Frauen waren. Frauen saßen auch 1848 im demokratischen Paulskirchen-Parlament nur auf den Zuhörerbänken. Bei den Grundgesetz-Beratungen auf Herrenchiemsee hundert Jahre später war wieder keine einzige Frau dabei. Und im neuen Bundestag ist der Anteil der Frauen geringer als im alten. Das heißt: Die Revolution der gemeinen Frau ist noch nicht zu Ende.
Hinweis: Diese Kolumne erschien zuerst am 01.05.2025 in der Süddeutschen Zeitung.