Es wird Zeit, dass das Bundesverfassungsgericht die Zivilgesellschaft, ihre Vereinigungen und die Gemeinnützigkeit stärkt. Ein Grundurteil zu Grundfragen der Demokratie ist notwendig.

 

Eine Demokratie, die mehr sein will als eine Auszählerei am Wahlabend, eine Demokratie, die mehr sein will als eine Wahlprozedur – eine solche Demokratie braucht stützende Regeln und stärkende Institutionen. Dazu gehört die Zivilgesellschaft. Der Bundespräsident lobt und preist sie in vielen seiner Reden. Es ist bedauerlich und tragisch, dass der Bundesfinanzhof sich als ihr Gegner präsentiert. Sein Urteil aus dem Jahr 2019, das dem globalisierungskritischen Verein Attac die Gemeinnützigkeit aberkannt hat, hängt seitdem wie ein Damoklesschwert über der Zivilgesellschaft. Es tut so, als sei die Zivilgesellschaft eine Zuvielgesellschaft, die gestutzt gehört. Das Urteil war der Beginn eines Irrwegs, der hinführt zu den 551 Fragen, mit denen die CDU/CSU-Bundestagsfraktion kurz vor der Bundestagswahl die Nichtregierungsorganisationen kritisierte und diskreditierte.

Die CDU/CSU-Fraktion attackierte in einer Kleinen Anfrage Vereine wie „Omas gegen Rechts“; sie wollte wissen, ob es Hinweise darauf gebe, „dass der Verein … gegen bestimmte Parteien oder Politiker Kampagnen führt“ oder ob von Greenpeace „gezielt politische Gegner diskreditiert oder diffamiert“ würden. Die Fragen zielten und zielen auf insgesamt 17 Nichtregierungsorganisationen, Vereine und gemeinnützige Unternehmen, und sie klingen so, als habe sie die AfD formuliert. Sie stellen die Gemeinnützigkeit von gemeinnützigen Organisationen infrage. In dieser maßlosen CDU/CSU-Anfrage ging die vergiftete Saat des Bundesfinanzhofurteils auf. Es ist daher höchste Zeit, dass das Bundesverfassungsgericht gegensteuert und auf die Verfassungsbeschwerde von Attac hin den Ausschluss von Attac aus der Gemeinnützigkeit beendet. Diese Verfassungsbeschwerde liegt nun schon seit mehr als vier Jahren in Karlsruhe.

Der Staat und sein Steuerrecht sollten nicht die Idiotie preisen

Ein Grundurteil zu Grundfragen der Demokratie ist dringend notwendig. Es kann und darf nämlich nicht sein, dass die Aberkennung der Gemeinnützigkeit ein Hebel zur Einschüchterung unbequemer Vereinigungen ist. Es kann und darf nicht sein, dass ein Karnevalsverein, ein Schachverein und ein Hundezuchtverein als demokratisch wertvoll gelten – aber nicht Vereinigungen, die einen Beitrag zur demokratischen Willensbildung leisten und die Werte der Verfassung verteidigen wollen. Demokratie ist das ständige Nachdenken und Mitreden, das Ringen und Streiten darüber, wie die beste Zukunft Gestalt annimmt. Dieses Nachdenken und Mitreden sollte auch dem Steuerrecht etwas wert sein.

Der entscheidende und fatale Satz des Bundesfinanzhofs lautet so: „Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck.“ Wie bitte? Man muss diesen strohtrockenen Satz nach gehöriger Verblüffung zwei-, dreimal lesen, dann beginnt er, gefährlich zu knistern, dann wird einem klar, wie unsäglich falsch und gefährlich diese Aussage ist. In diesem Satz steckt eine vordemokratische Botschaft: Politisches Engagement, wie es etwa der Bundespräsident mit viel Verve landauf, landab von den Bürgerinnen und Bürgern verlangt, ist danach angeblich nutzlos für das Gemeinwesen und viel weniger wert als das Engagement in einem Verein für den Modellflug, für das Amateurfunken oder die Kleingärtnerei. Die griechische Antike nannte den Rückzug ins Private „Idiotie“. Der unpolitische Mensch war der Idiot, Idiotes waren die Personen, die sich aus den öffentlich-politischen Angelegenheiten heraushielten. Der Staat und sein Steuerrecht sollten nicht die Idiotie preisen. Das wäre wirklich – idiotisch.

Das Urteil des Bundesfinanzhofs zu Attac war borniert

Die Bundesfinanzrichter hatten nicht die Kraft und nicht den Willen, Begriffe wie „Volksbildung“ (die gemäß der Abgabenordnung steuerlich förderungswürdig ist) aufklärerisch und demokratisch engagiert auszulegen. Volksbildung soll, so meinten sie, wenn sie schon politisch ist, möglichst allgemein und unkonkret sein; gemeinnützig ist dieser Ansicht nach nur so eine Art angeleitete Freizeitgestaltung. Wenn es konkret wird – für Transaktionssteuer, gegen Spekulation mit Lebensmitteln, für die Regulierung der Finanzmärkte, gegen Atomwirtschaft, für ein unbedingtes Grundeinkommen –, dann wird die Sache angeblich heikel; dann zerrinnt die Förderungswürdigkeit. „Fehlende geistige Offenheit“ hat der Bundesfinanzhof Attac vorgeworfen. Das ist ein Vorwurf, der ihn selbst trifft. Er disqualifiziert auf bornierte Weise reflektierte Positionierung und Parteinahme in gesellschaftlichen Themen. Warum dann nicht auch den Parteien die Gemeinnützigkeit absprechen? Sie tragen es schon im Namen, dass sie nicht für die Allgemeinheit, sondern für einen Teil, pars, sprechen.

Politische Bildung ist zwar nach dem klaren Wortlaut der Abgabenordnung gemeinnützig. Politische Bildung endet aber nach Meinung der Finanzrichter dort, wo die blanke Information aufhört. Das ist eklatant falsch. Politische Bildung ist nicht abstrakt, sie ist konkret. Omas gegen rechts, Pro Asyl, Greenpeace, Sea Eye, United4Rescue, Attac und Co sind konkret. Politische Bildung verlangt, sie nicht steuerrechtlich einzuschüchtern, politische Bildung verlangt, sie zu fördern. Seit dem Urteil des Bundesfinanzhofs und seit der AfD-gefärbten 551-Fragen-Anfrage der CDU/CSU-Fraktion erleben zivilgesellschaftliche Gruppierungen tagtäglich Schwierigkeiten: Sie bekommen keine Veranstaltungsräume mehr, sie bekommen weniger Spenden, sie werden nicht mehr eingeladen.

Die repräsentative Politik darf den Bürger und die Bürgerin nicht als notwendiges Übel der Demokratie betrachten. Das Mitreden und Mitstreiten der Zivilgesellschaft ist hilfreich, notwendig und gemeinnützig. Eine Demokratie, die daran nicht glaubt und die Menschen nicht mag, ist keine gute Demokratie. Mehr Demokratie wagen – das gilt, mehr als 50 Jahre nach Willy Brandt, immer noch. Das heißt: Gemeinnützigkeit muss demokratiefreundlich definiert werden. Politische Bildung und politische Kultur fangen dort erst richtig an, wo die blanke Information aufhört. Dieser Anfang verdient Förderung, soweit er nicht verfassungsfeindlich ist. Die Finanzbehörden, der Bundesfinanzhof und die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag müssen das noch lernen. Sie brauchen Nachhilfe vom Bundesverfassungsgericht.

Hinweis: Diese Kolumne erschien zuerst am 26.06.2025 in der Süddeutschen Zeitung.