Ich habe eine Entdeckung machen dürfen, eine beglückende schriftstellerische Entdeckung. Einer der Leser meines Letters, der Publizist, Umweltaktivist und Bergbauer Markus Wilhelm aus Sölden in Tirol, hat mir diese Entdeckung ermöglicht: Er wies mich auf den mir bisher unbekannten Walther Rode hin, für ihn „der hellsichtigste, kritischste österreichische Anwalt des 20. Jahrhunderts und ein hervorragender Schriftsteller“. Ich habe zu lesen begonnen und war begeistert, hingerissen, verzückt. Walther Rode ist ein Autor von gewaltiger Sprachkraft, geboren 1876 in Czernowitz, gestorben 1934 in der Schweiz, im Alter von 58 Jahren; seine Werke wurden von den Nazis verbrannt, sein „Lesebuch für Angeklagte“ in Österreich als „staatsgefährdend“ verboten. Kurz vor seinem Tod hat Rode ein großartiges Pamphlet gegen Hitler und die Nazi-Deutschen geschrieben: „Deutschland ist Caliban. Ein Pamphlet gegen den Hinterwäldler aus Braunau“. Caliban ist eine Figur aus dem Werk von Shakespeare, ein Monster und Unmensch.

Anlass für den Hinweis des Lesers auf Rode war mein Kommentar, in dem ich das Geschäftsgebaren einer Berliner Anwaltskanzlei kritisiert und darin den legendären Wiener Anwalt Sperber zitiert hatte (SZ Plus); Friedrich Torberg hat diesen Anwalt Sperber in seiner Anekdotensammlung „Tante Jolesch“ verewigt: „Räuber, Mörder, Kindsverderber gehen nur zu Doktor Sperber“. Der Leser wollte mir zu verstehen geben: Im Wien der Zwischenkriegszeit gab es nicht nur den berühmten Anwalt Sperber, da gab es noch einen anderen genialen Anwalt, einen, der nicht nur ein Strafverteidiger war mit einem feinen Sinn für Gerechtigkeit, sondern auch ein sprachgewaltiger Publizist und großartiger Schriftsteller, ein kompromissloser Humanist, der, nachdem man seine Wiener Kanzlei zerschlagen hatte, Korrespondent des Prager Tagblatts war beim Völkerbund in Genf.

Mein Leser empfahl mir, zum Einstieg in Rodes Werk eine Rede zu lesen, die Rode 1925 vor dem Schwurgericht Wien gehalten hat: „Gericht über den Obersten Gerichtshof“. Das habe ich getan, beeindruckt und mit allergrößtem Vergnügen. Rode war angeklagt worden, in einem Zeitungsartikel zu Hass und Verachtung gegen den Gerichtshof aufgereizt zu haben. Er verteidigte sich mit dieser Rede – und wurde mit zehn gegen zwei Stimmen freigesprochen. Man entdeckt einen Bruder im Geist von Kurt Tucholsky und Joseph Roth; und kriegt leuchtende Augen beim Lesen. „Gegen den Teufel hilft alle Fechtkunst nicht“, schrieb Rode. Er hat es trotzdem auf beeindruckende Weise versucht. Die Rede über den Obersten Gerichtshof ist abgedruckt in Rodes „Lesebuch für Angeklagte“.

Walther Rode: Knöpfe und Vögel. Lesebuch für Angeklagte. Neuauflage mit einem Essay von Anton Kuh. Das Buch ist erschienen im Jahr 2000 in der Edition Memoria Köln -Wien. Es hat 368 Seiten und kostet 30,50 Euro.

Das Gesamtwerk von Walther Rode ist 2007 als Werkausgabe in Wien erschienen, herausgegeben von Gerd Baumgartner: Vier Bände im Löcker-Verlag, jeder Band kostet 34,89 Euro.

Spread the word. Share this post!