Ich liebe den Dichter Joseph Roth, ich verehre seine Sprachmacht und seine Sprachkraft, die sich nicht nur in seinen großartigen Romanen wie „Hiob“ oder „Radetzkymarsch“ oder in der „Legende vom heiligen Trinker“ zeigt. Sie zeigt sich auch in seinen journalistischen Kommentaren und Leitartikeln aus den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals hat er die Schrecknisse der Naziherrschaft mit einer so kühlen Genauigkeit und einer blitzenden Schärfe vorausgesagt, dass es einem noch heute kalt den Rücken herunterläuft. Zuweilen steigert sich bei ihm die schlanke Aggressivität zum visionären Pathos, wenn er etwa einen Bettler beschreibt, der in einer Winternacht „Deutschland, Deutschland über alles“ singt. Und wenn er das Vulgäre als Waffe einsetzt, fallen Sätze wie diese: „Nicht nur Siegesalleen, auch Bedürfnisanstalten können die Gesinnung eines Volks charakterisieren … Ein echter Nationaler kann keine Rotunde verlassen, ehe er nicht seinem Drange, ein Hakenkreuz hinter sich zu lassen, Genüge getan.“ Die Joseph-Roth-Kommentare aus der Weimarer Zeit sind von einer so großen Klarheit der Erkenntnis, dass man verzweifeln könnte – weil schon 1920, 1925 das künftige Schreckliche so luzide vorhergesagt wird. Es hat bekanntlich nichts geholfen.

In dieser Zeit schrieb Roth seinen frühen Roman „Die Rebellion“. Er handelt von einem Kriegsinvaliden, einem armen Mann, der nur ein Bein, eine Leierkastenlizenz und einen Orden besitzt. Der Mann heißt Andreas Pum, ist 45 Jahre alt, glaubt an Gott, die Menschen und die Regierung. Der Roman erzählt, wie und warum ihm das alles abhandenkommt und wie und warum aus einem leidlich zufriedenen Menschen ein Sträfling und Rebell wird, der sich auflehnt gegen die Ungerechtigkeit der Welt. Es ist lange her, dass ich diesen Roman erstmals gelesen habe. Und ich habe ihn mir jetzt als Urlaubslektüre noch einmal zurechtgelegt, weil ein Bekannter mir erzählt hat, er sehe in der Figur des Andreas Pum den Prototypen eines Menschen, den man heute „Reichsbürger“ nennt. Ich will den Roman daraufhin noch einmal lesen.

Joseph Roth, Die Rebellion. Es gibt eine Neuausgabe des Romans, der 1924 erstmals erschienen ist, im Wallstein-Verlag aus dem Jahr 2019. Sie hat 280 Seiten und kostet 26 Euro. Das Nachwort stammt von Ralph Schock.

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