Man muss ein Buch, das ohnehin bereits ein Bestseller ist, nicht noch empfehlen. Aber man darf es. Und im Falle von Ulrike Herrmanns neuem Buch sollte man es sogar. Vor drei Jahren erhielt die Hanseatin, die seit Jahrzehnten für die taz in Berlin arbeitet, den großen Preis der Otto-Brenner-Stiftung für ihren „kritischen pointierten Wirtschaftsjournalismus mit gutem Gespür für Sozialstaatlichkeit“. Ulrike Herrmann „ist eine brillante Analytikerin, sie hat immer Zahlen parat. Deswegen ist sie die Frau für Krisen in den deutschen Rundfunk- und Fernsehstudios: Ulrike Herrmann ist die Frau, die Krisen zerlegen, die ein Carpaccio daraus machen kann. Sie kann nämlich etwas, was nicht viele können: Sie kann Wirtschaft so erklären, dass es Vergnügen macht, sich damit zu beschäftigen. Sie macht daraus eine Sache, bei der man mitreden kann, auch wenn man selber nicht BWL und VWL studiert hat. Sie demokratisiert also die Ökonomie.“ Das habe ich damals in meiner Laudatio gesagt und sage es gern nochmal nach der Lektüre ihres jüngsten Buches „Das Ende des Kapitalismus“.

Wer nun meint, Ulrike Herrmann sei eine Antikapitalistin, der irrt. Sie ist vielmehr eine schonungslose Realistin und, das stellt sie in den ersten Kapiteln wieder unter Beweis. Sie erzählt großartig abgeklärt, welchen historischen Fortschritt der Kapitalismus ausgelöst hat. Mit der Schärfe eines Skalpells seziert sie sodann die optimistischen Vorstellungen eines grünen Wachstums mit ausreichend grüner Energie. Sie kommt zu dem Ergebnis: sie sind eine Illusion. Und weil ohne Wachstum so viel vom Kapitalismus übrig bleibt wie vom Schneemann in der Sahara, wird, so meine ich, der bisher so unverfroren anpassungsfähige Kapitalismus die Klimakrise nicht überleben. Das Problem: Man kann sich eher das Ende der Welt vorstellen als das Ende des Kapitalismus. Wohl wahr, es gibt Modelle einer grünen Kreislaufwirtschaft, die ein Leben jenseits des Wachstumszwangs verheißen, das in vielem sogar entspannter, menschenfreundlicher und glücklicher sein könnte. Aber wie kommt man dahin? Wie schafft man es, in eine Kreislaufwirtschaft einzusteigen, ohne zuvor eine jahrelange wahnwitzige Wirtschaftskrise anzuzetteln, in der Millionen Menschen arbeitslos werden, verarmen, verzweifeln und Gefallen an einem neuen braunen Führer finden? Das ist die spannende Frage, die die Ökonomen bisher verdrängen.

Es wird darum gehen, den Verzicht demokratisch zu gestalten, die Klimapolitik und die Sozialpolitik zusammenzudenken. Das wird nicht allein durch Sparappelle an die privaten Haushalte gehen. Es wird auch nicht allein dadurch gehen, dass man den Verbrauch von Energie und den Ausstoß von Schadstoffen über den Preis regelt. Wir brauchen also demokratische Verabredungen über den Verzicht.

Ulrike Herrmann lässt sich hier vom Vorbild der britischen Kriegswirtschaft ab 1939 inspirieren. Das Vereinigte Königreich musste von jetzt auf gleich seine Wirtschaft auf die Produktion von Waffen umstellen und die zivile Produktion massiv schrumpfen. Die Briten schafften es aber, eine Hungerkrise zu vermeiden und das zivile Leben aufrecht zu erhalten. Mittels Rationierungen organisierten sie eine Art private Planwirtschaft. Der enorme Rück- und Umbau der Wirtschaft stieß erstaunlicherweise auf große Akzeptanz in der Bevölkerung. Die fand es schlicht gerecht; und es nahm ihr die Angst leer auszugehen. Ausgerechnet im Krieg waren die unteren Schichten besser versorgt als je zuvor. Und es haben sich alle, die Armen und die Bessergestellten, in die Schlangen um Lebensmittel gestellt. Das hat funktioniert, weil alle eine gemeinsamen Feind hatten, dem es zu wehren galt – und dessen Foto man jeden Tag in der Zeitung sah. Aber die Klimakrise ist eine andere Bedrohung als der Krieg, sie ist kein feindliches Schlachtschiff und nicht Adolf Hitler. Die Bedrohung ist nicht personifizierbar und daher nicht so greifbar. Ob das Vorbild der britischen Kriegswirtschaft deshalb wirklich auch in der Klimakrise funktioniert?

Man hat solche Fragen beim Lesen des Buchs, legt es aber durchaus optimistisch aus der Hand nach dem Lesen – um einiges klüger und sogar gut unterhalten. Denn wie gesagt: Ulrike Herrmann erklärt Wirtschaft so, dass es Vergnügen macht sich damit zu beschäftigen.

Ulrike Herrmann, Das Ende des Kapitalismus. Das Buch ist soeben bei Kiepenheuer&Witsch erschienen und kostet 24 Euro.

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