Guten Tag,

was hat Donald Trump mit dem deutschen Revolutionär Friedrich Hecker zu tun? Erst einmal wenig. Hecker war, anders als Trump, ein begeisterter Demokrat; er war, anders als Trump, ein glühender Republikaner und er war, anders als Trump, ein rechtskundiger Politiker und hochengagierter Anwalt der kleinen Leute. Hecker war ein Kämpfer gegen die adligen Großgrundbesitzer und gegen die monarchischen Allüren. Im Krisen- und Hungerjahr 1847 formulierte er für die radikale „Offenburger Versammlung“ in 13 Artikeln die „Forderungen des Volkes“. Voller Optimismus reiste er dann Ende März 1848 nach Frankfurt, wo sich die Abgeordneten des demokratischen Vorparlaments in der Paulskirche versammelt hatten. Er forderte sie auf, die Revolution voranzutreiben und die Monarchie abzuschaffen. Enttäuscht von den parlamentarischen Debatten, die er für lau und unentschlossen hielt, zog er sich dort wieder zurück; die Paulskirche war nicht seine Bühne.

Der Deutsche an Lincolns Seite

Er hoffte auf den Aufstand der Massen gegen Polizeistaaterei, Monarchie und Unterdrückung. Im April 1848 war er, der ausgezeichnete Redner und Agitator, daher Anführer eines bewaffneten Aufstands gegen die Monarchie, der als „Heckerzug“ von Konstanz nach Karlsruhe, der badischen Hauptstadt, führte. Hecker stand – in blauer Bluse, Stulpenstiefeln und dem breitkrempigen Hecker-Hut – an der Spitze einer Truppe von ein paar tausend Freiwilligen. Diese war aber dann der Übermacht der Truppen des Deutschen Bundes nicht gewachsen. Am 20. April 1848 wurden die Aufständischen im Gefecht bei Kandern am Fuß des Südschwarzwaldes besiegt und in die Flucht geschlagen. Hecker emigrierte mit seiner Familie nach Amerika, wie zwanzig Jahre später die Vorfahren von Donald Trump; er kaufte sich in Illinois eine Farm und baute dort Wein an; er kämpfte an der Seite von Abraham Lincoln und der Nordstaaten im Sezessionskrieg gegen die Sklaverei, war Oberst und Kommandeur eines deutschen Freiwilligen-Infanterie-Regiments.

Wo jeder ein Saumaul haben darf

In Deutschland war und blieb das Heckerlied jahrzehntelang das Kampf-Lied der Demokraten: „Wenn die Leute fragen, lebt der Hecker noch, / dann könnt ihr ihnen sagen, ja, er lebet noch, / Er hängt an keinem Baume und er hängt an keinem Strick, / er hängt an seinem Traume von der freien Republik.“ Weil er diesen Traum träume, besuchte er 1873 noch einmal Deutschland; aber da war eben das Deutsche Kaiserreich gegründet worden, die Monarchie saß fester im Sattel denn je, die Macht hatte der Kaiser.

Hecker kehrte endgültig enttäuscht und für immer in die USA zurück. Dort schrieb er im Oktober 1873: „Da bin ich wieder, wo es kein Hutabnehmen, keine Fürsten gibt, wo jeder ein Saumaul haben und jeder Esel Präsident sein kann.“

Dieser Satz, diese republikanische Laudatio des Revolutionärs Friedrich Hecker fiel mir ein, als vor ein paar Tagen, nach dem US-Wahltag, die ersten Wahlergebnisse bekannt wurden und die Zahlen für Donald Trump besser waren, als von den Meinungsforschern erwartet; als es noch so aussah, als könne sich Trump womöglich doch eine zweite Amtszeit sichern. Der Lobpreis auf Amerika, „wo jeder ein Saumaul haben und jeder Esel Präsident sein kann“, scheint nur zu gut auf Donald Trump und seine jetzt ablaufenden vier Jahre zu passen – auf einen Präsidenten, der nicht nur ein Saumaul hat.

Gepfefferte, aber keine lügnerischen Reden

Wo jeder Esel ein Präsident sein kann? 150 Jahre vor Trump klingt Friedrich Heckers Satz prophetisch. Aber Hecker, der ein feiner, empathischer Mann mit herzhaften sozialen Grundüberzeugungen war, der gepfefferte, aber keine lügnerischen Reden hielt, wollte damit nicht der ordinären Primitivität ein Loblied singen, sondern einem System, das die Menschen nicht deswegen ausgrenzt, weil sie nicht hochwohlgeboren sind. Hecker wollte ein System preisen, in dem der Mensch nicht erst dann beginnt, wenn er adlig ist oder ein Studium hinter sich hat. Einen narzisstischen und bizarren Egomanen, einen rechtsrespektlosen und cäsarenhaften Wüterich als Präsident – den wollte sich der Antimonarchist Hecker, der Kämpfer gegen die Sklaverei, nicht vorstellen.

Die Degeneration der politischen Kultur

Die Würde des amerikanischen Präsidentenamtes ist schwer beschädigt. Trump stand und steht für eine Degeneration der politischen Kultur, die sich noch einmal drastisch in seinen Reden und in seinem Verhalten nach der Wahl zeigt. Amerikas Macht ist vorderhand durch Trump nicht beschädigt, die militärische Säule und die finanzielle Säule, auf denen die US-Vormachtstellung beruht, wackeln nicht. Amerikas Autorität aber ist massiv beschädigt. Ohne Autorität verliert die amerikanische Macht mittel- und langfristig ihren Aggregatzustand: Sie wechselt vom festen erst in den flüssigen und dann in den gasförmigen Zustand; sie verliert ihren Halt. Ob es Joe Biden gelingt, die Autorität der USA wieder zu reparieren und herzustellen?

Trump habe Angst geschürt, so analysierte es die US-Autorin Brene Brown in ihrem Podcast „Unlocking Us“ vor drei Wochen, um zu spalten und zu destabilisieren; Trump habe den Anstand als Zeichen der Schwäche und als das Kennzeichen von Trotteln angesehen; er habe eine anhaltende Aufstachelung zu Hass und Gewalt betrieben. Das ist richtig beschrieben – und das wird mit dem Auszug Donald Trumps aus dem Weißen Haus nicht einfach abziehen wie ein Gewitter, weil Trump die vorhandene Spaltung der Gesellschaft verschärft und brutalisiert hat. Biden wird also als Trumps Nachfolger das entwickeln müssen, was man Führungskultur nennt, er wird mit Macht befrieden müssen – Versöhnung statt Spaltung, Empathie statt Missgunst. Er hat das soeben in seiner ersten Rede als gewählter Präsident versprochen.

Wenn die Demokratie Glück hat

Demokratie ist eine Staatsform, die ihre Zukunft miteinander gestaltet. Trump hat die Zukunft verunstaltet. Wenn die Welt Glück hat, halten sich die illiberalen Kettenreaktionen auf Trump in Grenzen. Wenn die Demokratie Glück hat, geht sie vielleicht sogar, hoffentlich, mittel- und langfristig aus den Trump-Jahren gestärkt hervor – wenn diese Jahre die Erkenntnis stärken, dass man sie nicht der Hetze und dem Hass, den Hetzern und den Hassen überantworten darf.

Das wünscht sich und uns allen in diesen dramatischen Tagen

Ihr

Heribert Prantl,

Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung


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