Guten Tag,

jeder Mensch hat einen Geburtstag. Besondere Menschen haben mehrere Geburtstage. Markus Söder gehört zu den besonderen Menschen. Sein Geburtstag als normaler Mensch ist der 5. Januar 1967; an diesem Vor-Dreikönigstag wurde er in Nürnberg geboren. Sein Geburtstag als CSU-Vorsitzender und Ministerpräsident, also sein Geburtstag als heutiger Star der CSU, ist der 23. Februar 2011. Das ist genau zehn Jahre her. An diesem Tag erkannte die Universität Bayreuth dem damaligen Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg den Doktortitel ab – wegen Plagiats. Wenig später legte Guttenberg sämtliche politischen Ämter und all seine politischen Ambitionen nieder.

Sturz des Oberfranken, Himmelfahrt des Mittelfranken

Der Unglückstag für den damals erst vierzig Jahre alten Guttenberg wurde zum Glückstag für Söder: Das abrupte Ende der kometenhaften Karriere des oberfränkischen Adligen war die Voraussetzung für die politische Himmelfahrt des mittelfränkischen Maurersohns. Ohne die vor zehn Jahren aufgedeckten wissenschaftlichen Betrügereien wäre heute wohl Guttenberg das, was Söder ist – CSU-Vorsitzender und bayerischer Ministerpräsident. Und mit einiger Wahrscheinlichkeit wäre Guttenberg heute auch das, was Söder gerne wäre und was Armin Laschet werden wird: Kanzlerkandidat der CDU/CSU.

Der Großhoffnungsträger

Guttenberg war nicht einfach nur irgendein Hoffnungsträger; er war in seinen Dreißigern schon Bundeswirtschaftsminister und Bundesverteidigungsminister. Aber Hoffnungsträger sind viele, wenn sie jung sind und schon ansehnliche Posten haben. Auch Söder war damals, als Guttenberg als Politstar angehimmelt wurde, noch jung, er war erst 43 Jahre alt und schon bayerischer Staatsminister. Aber Söders Ruf war, vorsichtig gesagt, nicht sehr gut. Er galt als ein politischer Pöbler, als Haudrauf, als Mann ohne Zwischentöne, manchen galt er als Kotzbrocken. Ganz anders Guttenberg: Guttenberg hatte Aura und Noblesse. Die Bild-Zeitung schrieb: „Den finden wir gutt.“ Und die Zeit attestierte ihm Charisma.

Drei Jahre lang befriedigte Guttenberg mit seiner blendenden Erscheinung, mit guten Manieren und seiner Redekunst die Sehnsucht nach dem Gesalbten, die es auch in der Demokratie gibt – nach einem, der von Natur aus der Richtige ist und bei dem die demokratische Wahl diese Richtigkeit nur noch deklaratorisch bestätigt. Deshalb war die Freude über Guttenberg damals, vor der Aufdeckung des Plagiats, so groß. Er strahlte Haltung selbst dort aus, wo er keine hatte. Auch die Demokratie braucht halt einen gewissen Zauber. Aber Guttenberg war, wie sich herausstellte, der falsche Zauberer. Er war der Mann des schönen Scheins – und nicht nur seine Partei, die CSU, lag ihm zu Füßen.

Guttenbergs geheime Offenbarung

Wer Ende Oktober 2010, ein Vierteljahr vor Guttenbergs Absturz, in der Halle C 1 der Münchner Messe den Parteitag der CSU verfolgt hat, der wird nie vergessen, wie sich ein verdeckter Machtkampf anfühlt. Es war der Machtkampf zwischen dem damaligen Ministerpräsidenten und CSU-Chef Horst Seehofer auf der einen Seite und dem jungen Großhoffnungsträger Theodor von und zu Guttenberg auf der anderen Seite. Für den Parteichef Seehofer hatte der Parteitag nur matten Beifall; Guttenberg jubelte er zu. Guttenberg konnte sagen, was er wollte – die Delegierten nahmen es auf wie die geheime Offenbarung.

Vor der Sommerpause 2010 hatte Seehofer die Wehrpflicht noch zum Markenkern der CSU erklärt. Auf dem genannten Parteitag, wenige Monate später, stimmte die CSU dem Antrag Guttenbergs auf Aussetzung der Wehrpflicht einstimmig zu. Die Partei fraß ihm aus der Hand. Als Guttenberg auf dem Parteitag seine Redezeit überschritt, schmeichelte ihm der Tagungsleiter, der bayerische Innenminister Joachim Herrmann: „Wir hören dir auch stundenlang zu.“ Den verdeckten Machtkampf gewann aber dann keiner der beiden Machtkämpfer. Es gewann ihn, dank des Plagiats, ein Dritter, es gewann ihn der Reservehoffnungsträger Markus Söder.

Verrauchter Zorn

Der Rücktritt Guttenbergs kam nach allerlei peinlichen Auftritten, in denen er seinen Doktor-Betrug erst entrüstet leugnete, dann verschwiemelt einräumte. Der Rücktritt hatte dann eine gewisse Grandezza – Guttenberg hat sich selbst bedauert, sich ans Herz gefasst, sich zum Opfer seiner selbst und zum Märtyrer erklärt. Sein Rücktritt, so lautete seine Erklärung, sei nicht nur ein Akt der Buße, sondern auch ein Opfergang für seine Soldaten, die nicht leiden sollten unter seinem Skandal. Der Rücktritt Anfang März war wie das wirkungsvolle Schlussbild eines Bühnenstücks. Jetzt gehörte die Bühne wieder Angela Merkel und ihrer Kabinettsumbildung. Thomas de Maizière wurde Guttenbergs Nachfolger als Verteidigungsminister und fand das Haus wirklich nicht so wohlbestellt vor, wie Guttenberg das behauptet hatte. Der öffentliche Zorn über die Wissenschafts-Räuberei des Freiherrn Guttenberg verrauchte im Lauf der Jahre, das Bedauern über das Aus für einen rasend begabten Politiker wurde wieder größer und auch die Verwunderung darüber, dass Guttenberg den Wiedereinstieg in die Politik nicht versuchte. Aber es hatte sich ja Söder dort eingerichtet, wo Guttenberg zu Hause sein wollte.

„Summa cum laude“ für das Ungemach

Ich habe seinerzeit Peter Häberle, den Doktorvater von Guttenberg, in seinem Reihenhaus am Ortsrand von Bayreuth besucht. Dort hatte der international berühmte Rechtsgelehrte Häberle alle paar Monate seine Doktoranden empfangen und sie über die Fortschritte ihrer Arbeiten referieren lassen. Guttenberg referierte dort auch. Dessen Thema faszinierte Häberle: Es war ein Vergleich zwischen den Entstehungsprozessen der amerikanischen und der europäischen Verfassung. Häberle ließ sich blenden vom blendenden Auftritt seines wissenschaftlichen Schülers. Er war stolz darauf, einen Doktoranden aus adligem Haus, einen Familienvater mit zeitfressendem Beruf, für die Wissenschaft und ihre Mühen begeistert zu haben.

Häberle hatte sich Guttenbergs Arbeit als Glanzpunkt am Ende seiner großen wissenschaftlichen Laufbahn gewünscht: „Summa cum laude“. Sie ist ein Schandfleck geworden. Guttenberg hat damals in einem Schreiben an Häberle um Entschuldigung gebeten für das „Ungemach“, das er über ihn, die Fakultät und die Universität gebracht habe. „Ungemach“ war ein sehr feines Wort für das sehr Unfeine. Häberle stellte sich immer wieder die Frage: „Hätte ich ‚es‘ merken müssen?“ Er weiß und wusste, dass er es hätte merken müssen.

Klasse statt Masse

Was haben die Universitäten gelernt aus der Guttenberg-Affäre? Nicht so viel. Die Universität Bayreuth hatte eigentlich gezeigt, wie man auf Plagiats-Vorwürfe gut und schnell reagiert. Eine Kommission der Universität stellte unter Heranziehung von auswärtigen Kollegen den Umfang des Betrugs fest. Die Universitäten von Düsseldorf und die Freie Universität Berlin hätten sich im Fall der Doktorarbeiten von Annette Schavan und von Franziska Giffey am zupackend-sorgfältigen Bayreuther Vorbild orientieren können. Das hat man nicht getan. Die deutsche Titelsucht ist im übrigen von den Fällen Guttenberg & Co nicht weiter tangiert worden. Und die Universitäten haben den notwendigen Schwenk hin zum Prinzip „Klasse statt Masse“ bei den Promotionen noch immer nicht hingekriegt.

Die kleinen Leute und die besseren Kreise

Und die CSU? Man weiß nicht, wie sie heute mit einem Parteichef Theodor zu Guttenberg dastehen würde. Hätte ein Guttenberg an der Spitze wirklich zu ihr gepasst? Die CSU war und ist eine Kleine-Leute-Partei und eine Partei der kleinen Mittelständler. Ihre Parteichefs kamen stets aus eher einfacheren Verhältnissen: Strauß stammte aus einer Metzgersfamilie, Waigel ist Sohn eines Maurerpoliers und Nebenerwerbslandwirts, Stoiber Sohn eines kleinen Angestellten, Seehofer eines Lastwagenfahrers, Söders Vater war Maurer. Und der Stolz, nicht im goldenen Nest geboren zu sein, es aber trotzdem nach oben geschafft zu haben, korrespondierte bei ihnen allen mit dem von ihnen propagierten Stolz Bayerns, sich an die Spitze der deutschen Bundesländer geschoben zu haben. Söder steht da in der Tradition.

Der zehnte Jahrestag des Rücktritts von Guttenberg ist also Anlass für ein schönes Sonntagnachmittagsspiel: Was wäre gewesen, wenn – beziehungsweise wenn nicht?

Viel Freude bei diesem Spiel wünscht Ihnen

Ihr

Heribert Prantl,

Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung


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