Dieser Strafprozess hätte so nicht stattfinden dürfen. Genauer gesagt: Er hätte nicht in Regensburg stattfinden dürfen. Noch genauer: Schon die Ermittlungen hätten nicht in Regensburg geführt werden dürfen. Nun kommt, nach langen Verhandlungen, das Urteil. Zwei Tage lang, am Mittwoch und Donnerstag nächster Woche, verkündet die Strafkammer in Regensburg ihren Spruch gegen den suspendierten Oberbürgermeister Joachim Wolbergs.
Von Heribert Prantl
Wolbergs wurde am 30. März 2014 mit grandioser Mehrheit ins Amt gewählt – und am 18. Januar 2017 auf dem Weg ins Rathaus wegen angeblicher Korruption verhaftet, ins Gefängnis nach Straubing gebracht und von dort erst wieder nach vier Wochen in die Freiheit entlassen. Er wurde von der Landesanwaltschaft vorläufig des Dienstes enthoben, ist bis heute suspendiert und steht, Unschuldsvermutung hin oder her, vor den Trümmern seiner Existenz; dies auch dann, wenn er, was nicht völlig unwahrscheinlich ist, in der kommenden Woche freigesprochen oder zu einer nur kleinen Strafe verurteilt werden sollte. Wohl nicht zuletzt deshalb will er im nächsten Jahr, auch wenn die Chancen für ihn nicht so groß sind, noch einmal als OB kandidieren – nicht mehr als Kandidat der SPD, aus der er ausgetreten ist, sondern auf einer eigenen Liste namens „Brücke“.
Ein befangenes Verfahren
Dieser Strafprozess hätte so nicht stattfinden dürfen, nicht in Regensburg, nicht in der Stadt, die partiell selbst das corpus delicti ist. Die Wirtschaftswunderstadt Regensburg war und ist zu klein, zu verbandelt, zu versippt für ein so großes Strafverfahren gegen den eigenen Oberbürgermeister. Regensburg ist eine in Schönheit explodierte mittelalterliche Stadt, in der es sehr kleinstädtisch zugeht. Selbst wenn es so sein sollte, dass bei den Ermittlungen alles mit rechten und rechtsstaatlichen Dingen zugegangen ist (was nicht der Fall war) – es besteht die Besorgnis der Befangenheit. Gerade wenn es, wie hier, um Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme geht (das sind die kleinen Schwestern von Bestechung und Bestechlichkeit), fließen die Interessen ineinander, kennt jeder einen Interessierten oder einen, der einen Interessierten kennt. Und die Interessierten an den Dingen, die im Fall des OB Wolbergs verhandelt werden, kennen sich alle, sind miteinander per Du, haben miteinander studiert – sind in Zuneigung oder Abneigung miteinander verbunden und freuen oder ärgern sich über die üppige finanzielle Förderung des Fußballvereins Jahn Regensburg durch örtliche Baufirmen.
Die Ermittlungen hätte nicht die Staatsanwaltschaft in Regensburg, sondern der Generalstaatsanwalt in München führen sollen
Es war und ist nicht gut, dass dieses Verfahren in Regensburg geführt wurde. Das Gesetz hätte die Möglichkeit geboten, dass nicht die Regensburger Staatsanwaltschaft gegen den Regensburger Oberbürgermeister, gegen Regensburger Amtsträger und Bauunternehmer ermittelt, sondern, dass das die Generalstaatsanwaltschaft in München macht. Für Ermittlungen, die mit unklaren Parteispenden zu tun haben, ist das seit einiger Zeit so geregelt, weil so die Sache einen besonderen Rang bekommt. Die örtliche Distanz hätte den Ermittlungen gut getan. Und wenn dann auch die Generalstaatsanwaltschaft in München zur Überzeugung gekommen wäre, dass der OB angeklagt werden muss – sie hätte beim Oberlandesgericht Nürnberg (zu dem Regensburg gehört) anklagen müssen; das ganze Verfahren wäre eine Etage höher aufgehängt worden. Das wäre besser gewesen.
Bomben-Fehler
Dann wären die Staatsanwälte vielleicht auch nicht so verbohrt gewesen, im Schlussplädoyer eine Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren gegen Wolbergs wegen Bestechlichkeit zu verlangen, obwohl das Gericht die Anklage wegen Bestechlichkeit (das ist die Annahme von Vorteilen für rechtswidrige Handlungen) gar nicht zugelassen hatte. Zugelassen war die Anklage nur wegen Vorteilsannahme (das ist eine Annahme von Vorteilen für rechtmäßige Handlungen) – was selbstredend auch eine Sauerei ist, wenn sie denn passiert ist. Die Anklage geht davon aus, dass ein örtlicher (und mitangeklagter) Baugigant dem OB und seiner Mutter bei Immobiliengeschäften und bei Bauarbeiten entgegengekommen ist. Und sie rügt grobe Verstöße gegen das Parteiengesetz bei den hohen Spenden des Bauunternehmers.
Hätte die Generalstaatsanwaltschaft in München die Sache in der Hand gehabt, dann wären vielleicht auch die Bomben-Fehler beim Abhören und Verschriftlichen der Telefonate nicht passiert. Die Regensburger Polizei hat abgehört, was das Zeug hielt – auch, was absolut verboten ist, die Gespräche des Oberbürgermeisters mit seinen Verteidigern. Und sie hat die Aufnahmen auch nicht korrekt verschriftet, sondern nur das protokolliert, was ihr irgendwie wichtig erschien und auch dies oft nur in Zusammenfassungen. Die Regensburger Staatsanwaltschaft hat das alles nicht kontrolliert; sie hat sich einfach darauf verlassen, dass die Polizei das schon richtig machen wird. Von einer „Herrin des Verfahrens“, wie sich die Staatsanwaltschaft gern selber nennt, wünscht man sich mehr Ermittlungsakkuratesse.
Das ganze Verfahren ist falsch eingefädelt worden. Es hat einen Geburtsfehler. Das bemakelt das Urteil, wie immer es ausfällt.
Das entleerte Lehrstück
Anfangs wegen angeblicher Bestechlichkeit, später, weil das Gericht das ablehnte, nur noch wegen angeblicher Vorteilsannahme und wegen Verstößen gegen die Spendenregeln des Parteiengesetzes wurde jedenfalls ein gewaltiges Verfahren aufgezogen. Das „Regensburger Spektakel“ wird es gerne genannt. Aber es ist nicht einfach nur ein Spektakel: Das Verfahren hätte – wenn es besser geführt worden wäre – ein Lehrstück sein über Kommunalpolitik, über enge Beziehungen zwischen lokalen Politikern und lokalen Wirtschaftsgrößen sein können; auch ein Lehrstück über die politische Bedeutung des Prinzips „do, ut des“ (ich gebe, damit Du gibst – wem auch immer); ein Lehrstück darüber, wo die Kumpeligkeit endet und das Korruptive beginnt; ein Lehrstück auch über die Grauzonen des Parteispendenrechts im regionalen Bereich. Nicht nur in Regensburg, auch in anderen Groß- und Mittelstädten werden derzeit genau solche Fragen strafrechtlich durchdekliniert.
Es zeigt sich nicht nur in Regensburg, dass die Transparenzkriterien für Parteispenden im geltenden Gesetz zu lasch sind: Erst ab 10 000 Euro müssen sie derzeit im Rechenschaftsbericht öffentlich bekannt gemacht werden. Die Latte muss jedenfalls im lokalen Bereich viel tiefer gelegt werden; am besten sollte sie völlig wegfallen.
Ohne Ansehen der Person? Oder verfolgungsgeil?
Mit dem Urteil am kommenden Mittwoch und Donnerstag (eine zweitägige Urteilsbegründung ist etwas Besonderes und lässt darauf schließen, dass sich die Kammer sehr in die Probleme hineingekniet hat) geht die Sache nicht zu Ende; sie wird weiter zum Bundesgerichtshof gehen – und dieser Bundesgerichtshof wird eines Tages auch darüber entscheiden müssen, ob es zulässig ist, dass die Regensburger Staatsanwaltschaft ungeachtet des nun vor dem Abschluss stehenden Verfahrens gegen den OB drei weitere Verfahren gegen Wolbergs betreibt und angeklagt hat. Die neue Anklage handelt von ähnlichen Vorwürfen wie das Verfahren, das jetzt zu Ende geht – so dass sich die Frage stellt, ob die Strafklage nicht verbraucht ist, ob also die neu angeklagten Fälle nicht ins bisherige Verfahren hätten einbezogen werden müssen.
Es steckt, wie man so sagt, viel drin in diesen Verfahren: Unklarheiten, Emotionen, Animositäten. Das Urteil wird eine Antwort auf die Frage versuchen, ob die Staatsanwaltschaft in Regensburg einfach nur, wie es sich gehört, ohne Ansehen der Person ermittelt hat – oder ob sie verfolgungsgeil war oder ist.
Wenn die Unschuldsvermutung ihre Unschuld verliert
Welche Bedeutung hat, auch darum geht es in diesem Verfahren, die Unschuldsvermutung? Sie ist der Kern des Rechtsstaats. Sie gilt für Hinz und für Kunz, sie gilt für Bundestagsabgeordnete, Oberbürgermeister und Bundespräsidenten. Die Unschuldsvermutung verlangt, dass Ermittlungen nicht einfach immer weitergetrieben werden in der Hoffnung, dass sich irgendwann Belastendes schon finden wird. Ein Ermittlungsverfahren ist kein Grill und die Beschuldigten sind nicht Würstchen, die man brutzelt, bis sie platzen. Anders gesagt: Ermittlungen sollen Beschuldigte nicht mehr als vermeidbar belasten. Die Unschuldsvermutung verlangt, einen Beschuldigten so zu behandeln, dass er nicht vor den Trümmern seiner Existenz steht, wenn sich seine Unschuld herausstellt. Das funktioniert oft nicht sehr gut.
Szenen wie für Netflix
Beim Oberbürgermeister von Regensburg hat es gar nicht funktioniert – die Staatsanwaltschaft hat sich auch nicht darum bemüht. Die Umstände der Verhaftung und die demütigende Verbringung ins Gefängnis nach Straubing sind Szenen für Netflix, aber kein Indiz für rechtsstaatliche Sensibilität. Man erwartet von der Staatsanwaltschaft, dass sie ihrer Arbeit ruhig, unvoreingenommen und sachlich nachgeht. Man erwartet von ihr nicht, dass sie die Beschuldigten schon vor dem Urteil durch Anprangerung bestraft.
Die Unschuldsvermutung verlangt: Die Ermittlungsbehörden müssen so vorgehen, dass Beschuldigte nicht wie vernichtet dastehen, wenn sich ihre Unschuld herausstellt. Das ist nicht einfach zu verwirklichen. Jegliche Verhaftung ist ja eigentlich ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung. Aber solche Zwangsmaßnahmen dürfen nicht über den Ermittlungszweck hinausgehen. Bloßstellung ist kein Ermittlungszweck. Ein Urteil soll Rechtsfrieden herstellen. Regensburg ist noch weit weg davon.
Ein Besuch in dieser Stadt lohnt sich trotzdem. Sie ist ein mittelalterliches Wunder. Der Autor weiß das – er hat dort studiert und war dort einst Richter und Staatsanwalt.