Die Welt ist unsicher wie lange nicht. Die Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz am kommenden Wochenende stehen vor großen Aufgaben – denn Frieden ist kein natürlicher Zustand.
Die Münchner Sicherheitskonferenz, die am kommenden Freitag von der deutschen Verteidigungsministerin und ihrem britischen Kollegen eröffnet wird, müsste in diesem Jahr eigentlich „Unsicherheitskonferenz“ heißen: Die Welt ist so unsicher wie schon lange nicht mehr. Die Weltordnung zersplittert; es ist, als läge Krieg in der Luft.
Der INF-Vertrag, der vor gut 31 Jahren auf unbeschränkte Dauer geschlossen wurde, einer der wichtigsten Verträge der neueren Geschichte, ist soeben sowohl von den USA als auch von Russland gekündigt worden. Die Welt steht vor einem neuen nuklearen Wettrüsten. Gleichzeitig zerfällt die transatlantische Gemeinschaft. US-Präsident Donald Trump ist dabei, das internationale Handelssystem zu zerstören. Die Welt steht vor einem globalen Handelskrieg. Die Genfer Konventionen erodieren; das humanitäre Völkerrecht leidet qualvoll und stumm.
Zur Besinnung Kant lesen
Weltweit zertrümmern populistische Extremisten die alte politische Ordnung und gefallen sich in Provokationen. Die politische und die wirtschaftliche Großwetterlage ist sehr bedrohlich (siehe dazu: Gert Heidenreich, „Die Schamlosen“ und Georg Mascolo, „Die nukleare Unvernunft“).
Etwa 40 Staats- und Regierungschefs, 100 Minister für dies und das werden bei der Münchner Unsicherheitskonferenz Gespräche führen und Reden halten. Vielleicht wäre es gut, sie würden zu Beginn und zur Besinnung Kant lesen. Als der berühmte Philosoph Immanuel Kant schon ein recht alter Herr war, schrieb er eine seiner berühmtesten Schriften. Sie heißt: „Zum ewigen Frieden“. Es ist dies keine Wolkenkuckucksheim-Postille. Kant lehrt in dieser Schrift aus dem Jahr 1795 etwas sehr Wichtiges: dass der Frieden kein natürlicher Zustand ist, sondern dass er gestiftet werden muss. Genau das ist, genau das wäre die Aufgabe der Konferenz in München.
Frieden stiften: 100 Jahre nach Kant nahm sich genau das der Industrielle Albert Nobel zu Herzen, er was damals auch schon ein älterer Herr. Nobel, Erfinder des Dynamits, gründete kurz vor seinem Tod eine Stiftung, in die er sein ganzes Vermögen hineinsteckte. Er glaubte an die Vernunft der Menschen und daran, dass die immer schrecklicheren Waffen sie vom Krieg abschrecken würden. Er meinte daher, dass man den Friedensnobelpreis gar nicht mehr so oft verleihen müsste: sechsmal im Abstand von fünf Jahren, so dachte er, dann sei alles klar – dann sei die Welt entweder in der Barbarei versunken oder endlich beim „Ewigen Frieden“ des Immanuel Kant angelangt.
Frieden stiften
Es wäre so schön, wenn der große Erfinder Nobel hier recht behalten hätte. 356Patente wurden dem klugen Mann zugesprochen; aber das Patent auf Frieden war nicht dabei. 1901 wurde sein Friedensnobelpreis erstmals verliehen. Hätte Nobel recht behalten, hätte das Thema Krieg 30 Jahre später erledigt sein müssen. Aber gut 30 Jahre später begann Hitler gerade damit, die Welt in die Katastrophe zu stürzen. Er griff andere Länder an und ließ Millionen Juden und Millionen anderer wehrloser Menschen ermorden. Weitere zehn Jahre später begann die Welt, sich aus dieser Katastrophe, dem Zweiten Weltkrieg, herauszuarbeiten und Regeln dafür zu finden, die Welt friedlicher zu machen – also im Sinn des Philosophen Kant den Frieden zu stiften. Heute ist das wieder notwendig, so notwendig wie schon lange nicht mehr.
Warum Politiker wie Brandt und Bahr so fehlen
Man wünschte sich, auf der Unsicherheitskonferenz in München wären diesmal ganz viele Staatsfrauen und Staatsmänner vom Typus eines Willy Brandt und eines Egon Bahr. Sie standen für visionären Pragmatismus. Dieser visionäre Pragmatismus hatte seit den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts vermeintlich Unmögliches zum Ziel: mit einer ideologie- und illusionsfreien Politik dem Kalten Krieg allmählich ein Ende zu machen. Das Unmögliche wurde möglich. Es war der Wandel durch Annäherung. Der INF-Vertrag von 1987 war eines der Ergebnisse dieses Wandels. Entspannungspolitik ist nie zu Ende. Sie muss immer wieder von Neuem versucht werden.
Entspannungspolitik ist nie zu Ende
Im April 2009 hielt der damalige US-Präsident Barack Obama in Prag eine große Rede zur Abrüstung, er warb für eine Welt ohne Atomwaffen. Viele Altpolitiker weltweit schlossen sich an. Der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker sagte in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung zum sechzigsten Jahrestag des Grundgesetzes: „Durch gemeinsame Gespräche, nicht durch Sanktionen muss man versuchen, das angewachsene Nuklear-Chaos in den Griff zu bekommen.“ Ähnliches erklärte der Altkanzler Helmut Schmidt. Der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher riet dem Westen kurz vor seinem Tod, Putin wieder die Hand zu reichen. Das war auch das Anliegen von Egon Bahr. Noch am 21. Juli 2015 mahnte Bahr bei einer Buchvorstellung: „Wir könnten wie zu Beginn der Entspannungspolitik sondieren – und beginnen, einseitig Sanktionen gegen Russland abzubauen.“ Einen Monat später starb Bahr. Die Mahnung wurde zu seinem Testament.
Es ist das Testament so vieler Altpolitiker, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hatten und dann die Welt neu und friedlicher wieder aufzubauen versuchten. Es wäre furchtbar, wenn dieses Ziel mit ihrem Tod gestorben wäre.