Die gesetzliche Anerkennung des dritten Geschlechts seit 1. Januar ist eine juristische und gesellschaftliche Revolution. Wie verändert das unser Kulturverständnis?

Das Personenstandsgesetz gehört nicht zu den Gesetzen, die üblicherweise im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Es ist ein Gesetz für die Standesämter und für die Standesbeamten, die die „familienrechtlichen Umstände“, nämlich Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle, nach den Regeln des Personenstandsrechts in ihren Büchern sorgfältig registrieren.

Das dritte Geschlecht

Am 1. Januar ist nun aber eine Änderung des Personenstandsgesetzes in Kraft getreten, die man getrost als gesellschaftspolitische Revolution bezeichnen kann. Diese Revolution findet sich in der Neufassung des Paragrafen 22 Absatz 3. Dort heißt es jetzt: „Kann ein Kind weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe oder mit der Angabe ‚divers‘ in das Geburtenregister einzutragen.“ Meine Kollegin Ulrike Heidenreich hat das unter dem Titel „Vielfalt ist normal“ kommentiert.

„Oder mit der Angabe ‚divers'“, das ist neu – und das heißt: Die bloße Mann-Frau-Betrachtung der Geschlechtlichkeit im deutschen Recht ist zu Ende. Es gibt nun, ganz offiziell und amtlich anerkannt, das dritte Geschlecht. Das ist juristisch und gesellschaftspolitisch spektakulär. Das hat Auswirkungen, die man womöglich noch nicht überschauen kann. Die ersten Auswirkungen zeigen sich in diesen Tagen in den Stellenausschreibungen und Stellenanzeigen. Dort heißt es jetzt, wenn das neue Gesetz beachtet wird, nicht mehr nur, wie bisher, dass ein Bauleiter gesucht wird „m/w“, sondern m/w/d – männlich, weiblich, divers. Deshalb ist in diesem Newsletter von einer nun schon ein paar Tage zurückliegenden Gesetzesänderung die Rede; sie wird weit in die Zukunft wirken.

Die Rechts-, Gesellschafts- und Partnerordnung, bisher ausgerichtet auf Mann/Frau, Frau/Frau, Mann/Mann, muss sich neu orientieren. Mit der Möglichkeit der Angabe „d“ im Personenregister des Standesamts ist die Anerkennung des dritten Geschlechts verwaltungsrechtlich vollzogen. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung vom 10. Oktober 2017festgestellt, dass es nicht nur Männer und Frauen, sondern auch ein unbestimmtes Geschlecht mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen gibt – und dass dieses Geschlecht von der gesamten Rechtsordnung anerkannt und respektiert werden soll.

„Sehr geehrter Mensch“: Wie redet man diverse Personen an?

Wie gesagt: Die gesetzliche Anerkennung ist nun vollzogen, sie steht im Personenstandsgesetz. Der gesellschaftliche Respekt wird noch wachsen müssen; und da geht es fürwahr nicht nur darum, dass neben öffentlichen Toiletten für Frauen und Männer auch solche ohne Geschlechtszuweisung zur Verfügung gestellt werden.

„Wird eine registerrechtliche Problemlösung imstande sein, unser Kulturverständnis grundlegend zu verändern?“, fragt der emeritierte Regensburger Ordinarius Dieter Schwab, der Doyen des deutschen Familienrechts, in der FamRZ, der Zeitschrift für das gesamte Familienrecht. Ein Schaden ist es jedenfalls nicht, wenn eine Versammlung nicht mit „Meine sehr verehrten Damen und Herren“, sondern, zum Beispiel mit „Verehrte Anwesende“ oder „Liebe Leute“ eröffnet wird. Bei der künftigen Benutzung des Wortes „divers“ wird man im allgemeinen Sprachgebrauch allerdings aufpassen müssen: Man sollte künftig beispielsweise nicht mehr formulieren, dass sich zum Dieselskandal „diverse Experten“ geäußert haben. Und wie redet man eigentlich diverse Personen an? „Sehr geehrte Person“? Oder: „Sehr geehrter Mensch?“ Ist die Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ jetzt diskriminierend?

Die AfD lehnte das neue Gesetz als einzige Fraktion im Bundestag ab. Sie nahm für sich im Gesetzgebungsgang in Anspruch, auf diese Weise die natürliche Ordnung zu verteidigen. Zur Natur gehört freilich auch die geschlechtliche Vielfalt. Der Kirchenlehrer Augustinus beispielsweise, geboren 354 nach Christus, war da sehr tolerant: Gerade in der Abweichung von der Mehrheit manifestiere sich, so schrieb er, das Göttliche. Und bei den alten Griechen beschrieb Ovid, wie aus der Umarmung von Hermes und Aphrodite ein „Hermaphrodit“, ein göttliches Wesen entstand, das beide Geschlechter in sich vereint.

Was heißt „divers“?

„Divers“: Es handelt sich gewiss um eine etwas seltsame Bezeichnung, sie erinnert ein wenig an die Sammelbezeichnung in einem Hängeregistratursystem; aber eine bessere Bezeichnung haben weder das Bundesverfassungsgericht noch Sachverständige noch der Gesetzgeber gefunden.

„Divers“ – diese Eintragung im Personenstandsregister gilt für die Intersexuellen, also für die Menschen mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen; früher hat man von Hermaphroditen oder Zwittern gesprochen. Diese Intersexualität ist von der Transsexualität zu unterscheiden. Transsexuell sind Menschen, die körperlich eindeutig zum männlichen oder weiblichen Gechlecht gehören, sich aber als Angehörige des anderen Geschlechts fühlen und als solche anerkannt werden wollen.

Im falschen Geschlecht

Die Anerkennung der Transsexuellen ist bisher unbefriedigend geregelt. Im Transsexuellen-Gesetz geschah sie nur sehr schleppend. Das Bundesverfassungsgericht musste hier mehrfach nachhelfen. Es monierte die Verfassungswidrigkeit mehrerer Bestimmungen dieses Gesetzes und stellte schon in einer Entscheidung aus dem Jahr 2008 fest: „Die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht hängt wesentlich auch von der psychischen Konstitution eines Menschen und seiner nachhaltig selbst empfundenen Geschlechtlichkeit ab.“

Und 2011 entschieden die höchsten Richter: „Die Dauerhaftigkeit und Irreversibilität des empfundenen Geschlechts eines Transsexuellen lässt sich nicht am Grad der Anpassung seiner äußeren Geschlechtsmerkmale an das empfundene Geschlecht mittels operativer Eingriffe messen, sondern ist daran festzustellen, wie konsequent der Transsexuelle in seinem empfundenen Geschlecht lebt und sich in ihm angekommen fühlt.“

Deshalb erklärten sie das Erfordernis einer operativen Geschlechtsanpassung und auch das der Zeugungsunfähigkeit für eine rechtliche Anerkennung im empfundenen Geschlecht für verfassungswidrig und die entsprechende Norm im Transsexuellen-Gesetz bis zu einer gesetzlichen Neuregelung für nicht mehr anwendbar. Es ist beschämend, dass es der Gesetzgeber dabei belassen und die längst fällige Neuregelung des gesamten, an einzelnen Stellen immer noch nicht verfassungsgemäßen Transsexuellen-Gesetzes bisher nicht vorgenommen hat.

Die Anerkennung der Uneindeutigkeit

Die gefühlte geschlechtliche Zuordnung, wie sie die Transmänner und Transfrauen haben, gibt es bei den Intersexuellen nicht. Das Bundesverfassungsgericht wollte es den intersexuellen Menschen daher ersparen, sich eindeutig zu einem Geschlecht bekennen zu müssen – deshalb wurde die Uneindeutigkeit ausdrücklich als drittes Geschlecht anerkannt.

Was dies im Alltag bedeutet, wird sich noch zeigen. Es ist erfreulich, wie die Homosexualität inzwischen rechtlich und gesellschaftlich Akzeptanz gefunden hat. Auch die Transsexualität von Menschen wird mehr und mehr akzeptiert. Der Wunsch, im empfundenen anderen Geschlecht leben zu können, ist vielen nachvollziehbar und verständlich. Sich daran zu gewöhnen, dass es ein drittes Geschlecht jenseits von Mann und Frau gibt, wird vielleicht etwas schwerer fallen und eine größere Umstellung bedeuten. Aber bei gutem Willen wird es gelingen – im Interesse aller. Denn es sollte jedem selbst überlassen sein, wie er sich geschlechtlich zuordnet. So will es unsere Verfassung.

Das höchste Gericht hat in seiner Entscheidung von circa 160 000 Menschen gesprochen, die das neue Recht unmittelbar betrifft. Artikel 6 Grundgesetz, der die Ehe und die Familie unter den Schutz der staatlichen Ordnung stellt, schützt auch die Ehe und Familie dieser Menschen. Die Diskussion, was das bedeutet und was daraus folgt, hat mit der Änderung des Personenstandsgesetzes erst begonnen.


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