Eine Laudatio zum Tag gegen Rassismus für einen, der seit 45 Jahren gegen den Rassismus kämpft.

Es gibt fast jeden Tag irgendeinen Gedenktag: den Tag der Heimat und den Tag der Bibliotheken, den Tag der Demokratie, den des Kinderbuchs, den des Denkmals oder den der Arbeit. Es gibt kaum einen Tag, der nicht einem besonderen Anliegen gewidmet ist. Man könnte also den nächsten Donnerstag einfach mit einem „Aha“ vorbeigehen lassen, so wie man andere Gedenktage auch vorbeigehen lässt.

Der nächste Donnerstag, der 21. März, ist der internationale Tag gegen Rassismus. Das klingt abstrakt, ist es aber nicht. Der Tag ist auch nicht willkürlich ausgesucht. Er erinnert an das Massaker von Sharpeville nahe Johannesburg in Südafrika. Es geschah am 21. März 1960: Zwanzigtausend Menschen demonstrierten gegen das diskriminierende Passgesetz des Apartheid-Regimes. Die Polizei schoss in die Menge. 69 Menschen starben, darunter acht Frauen und zehn Kinder.

Sechs Jahre später rief die Vollversammlung der Vereinten Nationen zur „elimination of all forms of racial discrimination“ auf und proklamierte einen Gedenktag dafür. Vor vierzig Jahren wurde dieser Gedenktag mit der Bitte an die Mitgliedsstaaten ergänzt, alljährlich eine Aktionswoche der Solidarität mit den Gegnern und Opfern von Rassismus zu organisieren.

Juden bei den Muslimen, Muslime bei den Juden

Das ist kein Aktionismus, sondern eine Notwendigkeit; wie notwendig, zeigte der vergangene Freitag: Das Attentat auf zwei Moscheen in Christchurch/Neuseeland mit Dutzenden von Toten war ein rassistischer Anschlag. Das Attentat war „eine Folge des antimuslimischen Rassismus, der in vielen Ländern verbreitet ist“. Das sagt der evangelische Theologe Jürgen Micksch, der seit vielen Jahren in Deutschland die Wochen gegen Rassismus organisiert. In diesem Jahr reden in diesem Rahmen auch jüdische Persönlichkeiten zu den Muslimen, in elf Moscheen bei den Freitagsgebeten. Und der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, redet in der Augsburger Synagoge anlässlich eines Sabbatgebetes. Solche religiösen Begegnungen sind das große Anliegen des Theologen und Soziologen Jürgen Micksch.

Über diesen Jürgen Micksch möchte ich in diesem Newsletter zum „Tag gegen den Rassismus“ erzählen, weil er es für mich ist, der diesem Tag und der Arbeit gegen den Rassismus in Deutschland ein Gesicht gibt: Es ist das Gesicht eines sehr freundlichen, schlohweißen Herrn von 78 Jahren; er ist ein Mann von unerschütterlicher Herzlichkeit. Ich kenne ihn seit über dreißig Jahren, seit den ersten Monaten meiner Zeit als Journalist. Damals war er stellvertretender Direktor der Evangelischen Akademie in Tutzing und Gründer von Pro Asyl. Vor ein paar Jahren durfte ich auf ihn die Laudatio halten, als er in Dresden den Erich-Kästner-Preis erhielt.

Heute ist Micksch Vorsitzender des Interkulturellen Rates, den er gegründet hat, und Geschäftsführer des „Abrahamischen Forums“, in dem Juden, Christen, Muslime und die Mitglieder der kleinen, aber weltweit verbreiteten Religion der Bahá’í miteinander reden: „Vier Religionen, aber immer der gleiche Gott“, erklärt Micksch.

Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass es in Deutschland die „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ gibt, an denen sich anfangs fast niemand beteiligen wollte, weil es, wie Ämter und Behörden meinten, keinen Rassismus in Deutschland gebe. Als Micksch mit einer Arbeitsgruppe, die im Bundesinnenministerium angesiedelt war, Erklärungen zum Thema Rassismus herausgab, strich das Ministerium das Wort „Rassismus“ aus sämtlichen Texten und ersetzte es durch „Ausländerfeindlichkeit“. Dass es die gab, war unbestritten. Erst seit der Aufdeckung der Mordserie des NSU wird auch offiziell nicht mehr abgestritten, dass es Rassismus gibt in Deutschland.

Der Einzelfall zählt

Ich habe Micksch kennengelernt, als 1988 ein neues Ausländerrecht in Arbeit war, Friedrich Zimmermann von der CSU, ein ebenso jovialer wie begnadeter Hardliner, war der zuständige Minister – und Jürgen Micksch war in tiefer Sorge. Diese Sorge trug er damals zu mir in die Redaktion. Von ihm und von Pro Asyl habe ich fortan einiges lernen können: Ausdauer und Nachhaltigkeit zum Beispiel. „Der Einzelfall zählt“ – das war einmal der Titel einer großen Aufklärungskampagne. Wie wirksam es ist, den Menschen einen Einzelfall nahezubringen, das hat Micksch ganz am Anfang seiner Flüchtlingsarbeit selbst erlebt: Als in Tutzing, seinem damaligen Arbeitsort, dem Sitz der Evangelischen Akademie, Flüchtlinge untergebracht werden sollten, Palästinenser, kam es auch dort zu Anwohnerprotesten. Micksch organisierte ein Treffen. Bürger sollten kommen und auch Flüchtlinge. Er ließ sie mit Hilfe von Übersetzern über ihre Fluchtgründe berichten, vom Elend, in dem sie lebten, von ihrer Arbeits- und Heimatlosigkeit und der Gewalt, der sie ausgesetzt waren.

Die Bürger blieben skeptisch, könnte ja alles gelogen sein. Ein Vater erzählte von seinem Sohn, dem in den Fuß geschossen worden sei, der Junge stand neben ihm. „Zeig mal“, sagte der Vater. Da krempelte der Junge sein Hosenbein hoch und zog den Schuh aus. Und die Bürger sahen die Wunde. „Das hat die Stimmung im ganzen Ort verändert“, erinnert sich Micksch. Bei seiner Gründung von Pro Asyl war Micksch Mitte 40 und Ausländerreferent der Evangelischen Kirche Deutschlands. Er wollte damals so etwas wie einen deutschen Flüchtlingsrat einrichten.

Als Erstes besprach er sich mit seinem katholischen Kollegen, der ihm umstandslos riet: „Vergessen Sie’s“. Micksch suchte sich andere Verbündete. Die Caritas warnte ihn: Er solle seinen Plan aufgeben, die Zeit sei nicht reif, er würde mit so etwas nur die Politik verärgern. Vom Diakonischen Werk kam die Mitteilung, man werde ihn nicht unterstützen. Micksch ließ sich nicht unterkriegen. Er reiste durch Deutschland, um Pro Asyl aufzubauen. Aus einem Verein, auf den damals kaum einer achtete, ist eine der gewichtigsten Menschenrechtsorganisationen in Deutschland geworden.

Erfinder der „multikulturellen Gesellschaft“

Welche Konstitution muss einer haben, der seit 45 Jahren für ein humanes Ausländerrecht und gegen Rassismus streitet? Und welches Gemüt braucht einer, den viele Politiker, ja selbst seine Kirchenoberen, als nervigen Spinner abgetan haben, bis sie dann irgendwann doch noch anfingen, seine Vorschläge näher zu betrachten? 1980, als Micksch den Begriff der „multikulturellen Gesellschaft“ erfand und ins Gespräch brachte, hat ihn kaum jemand verstanden, nicht einmal seine eigene Kirche. Sein Arbeitgeber, der Rat der EKD, verbot ihm damals, den Begriff weiterhin zu verwenden. Er selbst hat später das Wort „multikulturell“, als es zu einem politischen Kampfbegriff geworden war, durch „interkulturell“ ersetzt.

Jürgen Micksch ist schuld daran, dass 1993 erstmals in Deutschland eine Obdachlosenzeitung namens Biss erschien. Auch hier war der in Breslau geborene, mit seiner Mutter im Alter von vier Jahren nach Bayern geflohene Mann ein Wegbahner, Organisator und Optimist. Sein Selbstbewusstsein hat er womöglich von ganz früher, als er als Kinderstar zusammen mit Heinz Rühmann auf der Bühne und vor der Kamera stand. Zum Beispiel in „Warten auf Godot“, unter der Regie von Fritz Kortner. Warten auf Godot. Das Stück hat etwas mit dem Nicht-Aufgeben zu tun, mit dem Immer-Wieder-Weitermachen. Das passt zu Jürgen Micksch.

Wie viel Kraft muss einer haben, um mit Widerständen ohne Ende gut umzugehen? Er braucht den Glauben an die Kraft des Guten. Und es hilft gewiss auch das Gottvertrauen des Christen. Wäre es nach Micksch gegangen, gäbe es die deutsche Islamkonferenz nicht erst seit 2006, sondern schon seit 1990. Micksch ist, ohne dass er missionarisch auftritt, ein Werber für die Menschenrechte und das Miteinander: das Miteinander der Menschen, das Miteinander der Religionen. Wenn dieses Projekt gelingt, wenn der Kampf gegen Rassismus nicht vergeblich ist – dann dank der Leute, die so sind wie er. „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, das ist der immer wieder zitierte Satz von Erich Kästner. Er kann ein Lebensmotto sein.

 


Newsletter-Teaser