Eine Verwaltungsratssitzung in Nürnberg gehört üblicherweise nicht zu den Terminen, die Aufsehen erregen. Verwaltungsrat – das klingt nach Bürokratie und gehobener Langeweile. Das mag bisweilen auch so sein. Aber am kommenden Freitag, wenn der Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit tagt, ist das anders. Da geht es nicht nur, wie sonst, um die Arbeitslosenstatistik und um die Finanzlage der Agentur; da geht es um Macht, um viel Macht, und darum, wer sich dieser Macht wann und wie bedienen darf. 

Von Heribert Prantl

Hauptakteur in diesem Machtspiel ist Peter Clever, 64 Jahre alt, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der BdA, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Er ist der Vertreter der Arbeitgeber im Verwaltungsrat der Bundesagentur und dort deren Sprecher.

Peter Clever will in der Verwaltungsratssitzung am 12. Juli seine Frau loswerden. Nun ist der Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit kein Familiengericht, bei dem solche Scheidungen üblicherweise verhandelt werden. Dieser Verwaltungsrat ist ein Gremium vergleichbar dem Aufsichtsrat bei einem Wirtschaftsunternehmen; es kontrolliert also den Vorstand. Und in diesem Vorstand sitzt seit gut zwei Jahren eine Frau namens Valerie Holsboer, eine selbstbewusste Juristin, 42 Jahre alt, hochgelobt. Sie geht aber, wie man so sagt, dem 64-jährigen Verbandsfunktionär Clever auf den Zeiger, sie ist ihm zu souverän, agiert offenbar nicht so, wie er das will; sie stört seine Kreise und die Art, wie er sie seit jeher zu ziehen gewohnt ist.

Auf Vorschlag der Arbeitgeber berufen

Holsboer ist die erste Frau überhaupt, die im dreiköpfigen Vorstand der Bundesagentur sitzt, sie ist zuständig für Personal und Finanzen. Was das bedeutet, sagen schon die Zahlen: Das Haushaltsvolumen der Bundesagentur liegt bei gewaltigen 35 Milliarden Euro; es werden bald 38 Milliarden sein. Und die Agentur beschäftigt fast 100 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, doppelt so viel also wie die EU-Institutionen zusammengenommen. Die Bundesagentur ist also eine der größten Behörden in Deutschland und einer der größten Arbeitgeber des Bundes.

„Die Frau“ des Arbeitgebervertreters Peter Clever ist die Juristin Valerie Holsboer natürlich nicht im familienrechtlichen Sinn. Sie ist es aber nach den gängigen Kategorien und Kriterien des Lobbyismus, weil sie seinerzeit von der zuständigen Ministerin Andrea Nahles auf Vorschlag der Arbeitgeber, also von Peter Clever, in den Vorstand der Bundesagentur berufen wurde und dort seit 1. April 2017 arbeitet – aber offenbar nicht ganz so, wie sich das Clever und die Arbeitgeber gewünscht und vorgestellt haben. Seit einiger Zeit kursieren daher Gerüchte über die angebliche Ungeeignetheit und Unfähigkeit der Vorständin.

Ihre Fähigkeiten müsste Frau Holsboer dann quasi über Nacht eingebüßt haben. Als Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Systemgastronomie und der Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss galt sie als herausragend. Und als Verhandlungsführerin der Arbeitgeber hatte sie wichtige Tarifverträge für die hochproblematische Fleischwirtschaft ausgehandelt und damit die Ministerin Nahles beeindruckt – die daher vom Vorschlag der Arbeitgeber für die Besetzung des Vorstands bei Bundesagentur sehr angetan war. Die Bundesagentur war Holsboer schon vor dieser Berufung nicht fremd, sie saß sechs Jahre lang als Mitglied im dortigen Verwaltungsrat – exakt in dem Gremium also, in dem Peter Clever am kommenden Freitag ihre Absetzung als Vorständin durchsetzen will. Das ist sehr unüblich. Die Vorstände dort sind für fünf Jahre gewählt, Wiederwahl möglich.

Jeder bedient seine Interessen

Wenn dieses Ränkespiel Aussicht auf Erfolg hat, liegt das an den Besonderheiten der sogenannten Selbstverwaltung der Bundesagentur, die bisweilen eher einer Selbstbedienung ähnelt. Verfassungsrechtler halten diese spezielle Selbstverwaltung, die von den Vertretern der Gewerkschaften und den Vertretern der Arbeitgeber ausgeübt wird, für verfassungswidrig – weil demokratisch nicht legitimiert.

Aber weder die Arbeitgeber noch Gewerkschaften haben ein Bedürfnis, daran etwas zu ändern: Jeder schickt seine Leute in den Verwaltungsrat, jeder bedient damit seine Interessen; und es gibt die stillschweigende Vereinbarung, dass jede Seite die andere nach Gutdünken dabei gewähren lässt – die Gewerkschaften reden den Arbeitgebern bei deren Personalia nicht drein, die Arbeitgeber reden den Gewerkschaften nicht drein. Wenn die eine Seite einen bestimmten Vertreter in das ihr zustehende Kontingent berufen will, macht also die andere Seite mit; und wenn sie eine bestimmte Vertreterin aus dem ihr zustehenden Kontingent abberufen will, macht die andere Seite auch mit. So ist es üblich und für beide Seiten erfolgreich. Aber es ist weder demokratisch in Ordnung noch rechtsstaatlich koscher.

Die sogenannte Selbstverwaltung der Bundesagentur für Arbeit sieht wie folgt aus: Zentrales Organ ist der Verwaltungsrat. Er überwacht und berät den Vorstand, gibt Impulse zur weiteren Entwicklung der Bundesagentur; er schlägt der Bundesregierung den Vorsitzenden oder die Vorsitzende und die übrigen Mitglieder des Vorstands vor – zur Ernennung durch den Bundespräsidenten. Der Verwaltungsrat legt die strategische Ausrichtung und die Ziele der Bundesagentur fest, beschließt die Satzung und den Haushaltsplan, genehmigt den Geschäftsbericht und die Geschäftsordnung des Vorstands.

Echte Demokratie sähe anders aus

Der Verwaltungsrat ist also ein Aufsichtsorgan, das sich in jede beliebige Frage einmischen und auch den Vorstand feuern kann. Es herrscht im Verwaltungsrat Drittelparität: Von den 21 Mitgliedern werden sieben von den Arbeitgeberverbänden, sieben von den Gewerkschaften und sieben von der öffentlichen Hand gestellt. Echte Verbandsdemokratie sähe anders aus als derzeit: Da würden die Leute im Verwaltungsrat nicht von den Verbandsspitzen der Arbeitgeber und der Gewerkschaft entsandt, sondern von den Beitragszahlern der Arbeitslosenversicherung gewählt. Solche Sozialwahlen sind jedenfalls in anderen Selbstverwaltungen üblich (Rente, Berufsgenossenschaft, Krankenversicherung).

Nur die sieben Vertreter der öffentlichen Hand im Verwaltungsrat der Bundesagentur sind demokratisch ordentlich legitimiert, weil von demokratisch legitimierten Institutionen entsandt: drei der sieben kommen vom Bund, drei von den Ländern, einer kommt von den Kommunen. Diese Vertreter der öffentlichen Hand können aber nichts ausrichten, wenn sich die Vertreter von Gewerkschaften und Arbeitgebern zusammentun; dann werden sie überstimmt. Wenn also am kommenden Freitag die sieben Gewerkschaftsvertreter im Verwaltungsrat die Forderung der Arbeitgeber, eine von ihnen benannte Vorständin zu entlassen, mittragen (um die eigene souveräne Entscheidungsmacht für die eigenen künftigen Personalentscheidungen nicht zu stören), ist die Frau weg.

Valerie Holsboer war vor ihrer Vorstandstätigkeit ehrenamtliche Richterin erst am Arbeitsgericht, dann am Bundesarbeitsgericht. Vor einem Arbeitsgericht hätte eine Entlassung, die danach riecht, dass da ein Mann eine ihm nicht parierende Frau aus dem Weg räumen will, niemals Bestand.

Man sieht: Nicht nur in Europa gibt es Komplott und Kabale, Rank und Rache, wenn es ums Spitzenpersonal geht. Bei deutschen Superbehörden gibt es das auch. Es steht eine spannende Woche bevor – in Brüssel und in Nürnberg.


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