Hundert Jahre nach den Trauerfeiern für Kurt Eisner, den ermordeten ersten Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern: Was ist sein Testament? Worin besteht sein Erbe?

Waren es Hunderttausend? Waren es Hundertfünfzigtausend? Oder waren es gar „Hunderttausende“, die ihm das letzte Geleit gaben, wie einige Zeitungen schrieben? Vor hundert Jahren, am 26. Februar 1919, wurde der ermordete erste bayerische Ministerpräsident zu Grabe getragen – Kurt Eisner, der Gründer des Freistaats Bayern.

Ein historisches Filmdokument zu den Trauerfeierlichkeiten finden Sie hier. Kurt Eisner war 51 Jahre alt, als er erschossen wurde; er war ein Meister des Revolutionsmanagements gewesen – und es war ihm denkbar wenig Zeit dafür gegeben: „Die Revolution ist nicht die Demokratie“, sagte er. „Sie schafft erst die Demokratie.“

Eine friedliche Revolution

Kurt Eisner saß im Jahr 1918 wegen der Organisation des großen Arbeiterstreiks gegen den Krieg neun Monate ohne Prozess in Untersuchungshaft, er wurde im Oktober entlassen; am 7. November begann die Revolution – und Eisner rief die Republik aus. Seine Revolution war eine friedliche Revolution, ohne jedes Blutvergießen; sie war friedlich bis zu dem Tag, an dem Eisner von einem Nazi erschossen wurde. Das war am Morgen des 21. Februar 1919; Eisner hatte, weil seine Partei die Mehrheit verloren hatte, die Rücktrittserklärung in der Tasche, die er im Landtag verlesen wollte.

Verunehrt und verketzert

Bis zu diesem Tag war Bayern das Musterland der deutschen Revolution gewesen. Man darf stolz auf diesen Eisner sein. Erst nach seiner Ermordung begann die Zeit der Straßenschlachten und eines Terrors, wie ihn keine andere deutsche Stadt so furchtbar erlebte. Aber Eisner wurde deswegen verketzert, es wurde später von den Konservativen und den Nazis so getan, als habe Eisner, der Pazifist, Staatsmann und Literat die Schrecknisse zu verantworten, deren schrecklichste den weißen Truppen, also den Rechtsextremisten, anzulasten ist. Eisners Andenken wird verunehrt – der amtierende Ministerpräsident Markus Söder hat ihn bei den Feierlichkeiten zum hundertsten Jubiläum des Freistaats Bayern mit keinem Wort gewürdigt. Das war kleinlich, unwürdig und falsch.

Frauenwahlrecht, Pressefreiheit, Achtstunden-Tag

Der SZ-Kollege Wolfgang Görl hat soeben über Eisner geschrieben („Viel zu verdanken“, SZ vom 21. Februar 2019): „Das Zerrbild, das die rechte Propaganda in der Zeit der Revolution und danach von Eisner gezeichnet hat, wirkt bis heute nach. Eisner, der Preuße, der verlotterte Literat, der Traumtänzer, der Jude, der Volksverräter – hinter den Stereotypen des völkisch-nationalistischen Ressentiments verschwinden die demokratischen Errungenschaften, die Bayern diesem Mann verdankt.“ Fürwahr: In Eisners kurzer Regierungszeit wurden das Frauenwahlrecht, die Pressefreiheit und der Achtstundentag eingeführt; der Kirche entzog die neue Republik die Aufsicht über die Schule. Eisners Träume von der Völkerverständigung nach dem verheerenden Krieg zerrannen leider (Siehe zu Eisner und zur Revolution in München die aktuelle Serie im Bayernteil der Süddeutschen Zeitung). Kurt Tucholsky veröffentlichte am 27. Februar 1919in der Weltbühne ein Gedicht. Es heißt einfach „Eisner“ und beginnt so: „Da war ein Mann, der noch an Ideale glaubte / und tatkräftig war. / In Deutschland ist das tödlich.“

Mord oder Qual, das ist die Wahl

Gustav Landauer, der Anarcho-Pazifist, zitierte in seiner Trauerrede aus einem Gedicht Eisners, das sich liest, als habe dieser sein Schicksal schon erahnt: „Giftgeschwollen siegen / schuldlos unterliegen, / Mord oder Qual / Das ist die Wahl“. Heinrich Mann, der Schriftsteller, hat auch geredet vor hundert Jahren auf der Trauerfeier, sein Kollege Oskar Maria Graf war dabei; auf den Bildern von damals wollen Historiker auch Adolf Hitler erkannt haben. Die ganze Stadt, so steht es in den Zeitungen, war auf den Beinen – und es ist anrührend, das Filmdokument von damals anzuschauen.

Ich habe das wunderbare Archiv der Süddeutschen Zeitung, des Jahrestags wegen, gebeten, nach den größten Trauerzügen in der Geschichte Münchens zu forschen. Vielleicht war es ja tatsächlich dieser Trauerzug für den Sozialisten Eisner im Februar 1919? Vielleicht war es 1921 der Trauerzug für Ludwig III., den letzten bayerischen König. Vielleicht war es 1952 der Trauerzug für den Kardinal Michael Faulhaber, der in seiner Rede zur Beerdigung von König Ludwig III. ein Bekenntnis zur Monarchie und zum Gottesgnadentum des Königs abgelegt hatte. Vielleicht war es 1955 der Trauerzug für Rupprecht von Bayern, der der letzte lebende deutsche Generalfeldmarschall des Ersten Weltkriegs war. Oder der Trauerzug von 1976 für den volkstümlichen Kardinal Julius Döpfner, der während des Zweiten Vatikanischen Konzils zu einer der prägendsten Figuren der katholischen Kirche geworden war. Vielleicht war es auch der bombastische Trauerzug für Franz Josef Strauß im Oktober 1988.

Die Tiefen und Untiefen der bayerischen Seele

Das Textarchiv hat es nicht klären können. Man riet deshalb, sich lieber nicht so genau festzulegen und also nicht den Trauerzug für den Sozialisten Eisner „den größten in der Geschichte Münchens“ zu nennen. „Es könnte“, meinte der Archivkollege Jens Potschka, auch Kardinal Faulhaber vorne sein. Und der Archivar Andreas Holderried fasste das Ergebnis der Recherchen wie folgt zusammen: „Die größten Trauerzüge in München gibt es für Kommunisten, Kleriker, bayerische Kanzlerkandidaten und Blaublütige.“ Womöglich sind damit auch die Tiefen und die Untiefen der bayerischen Seele schön beschrieben.

„Zwei Kugeln haben mich getroffen“

Lesen wir Eisners letzte Sätze: „Es herrscht Chaos in München und doch ist es gespenstisch still. Zwei Kugeln haben mich getroffen, in Rücken und Kopf – mein Blut trocknet auf der Straße. Jetzt beginnen die Kirchenglocken zu läuten, nicht für mich, einfach weil sie es so gewohnt sind. Immer mehr Menschen eilen in die enge Promenadenstraße zum Ort des Geschehens. Ich habe immer dazu aufgerufen, dass unsere Revolution eine friedliche sein muss. Ich bin ein überzeugter Pazifist, für meinen Mörder Anton Graf von Arco auf Valley und viele andere war das, neben meiner jüdisch-berlinerischen Herkunft und meinem Kampf für die Demokratie, eine Provokation. Über meinen Mörder wird in den nächsten Tagen noch viel zu hören sein. Gestatte mir, liebe Leserin, lieber Leser, für heute zu schweigen. Der Tod ereilt einen nicht jeden Tag. Meine Zukunft ist damit geklärt, für Bayern sehe ich jetzt stürmische Zeiten anbrechen.“

Das ist nicht wirklich von Eisner selbst. Diese Sätze sind Teil eines tollen, eines phantastischen Messenger-Projekts, das der Bayerische Rundfunk aufgezogen hat. Es heißt: „Ich, Eisner! 100 Jahre Revolution in Bayern.“ Das Konzept: Kurt Eisner höchstpersönlich schickt Nachrichten direkt aufs Handy – und erzählt in Echtzeit, was vor 100 Jahren geschah. Vier Monate lang hat dort nun Eisner seine Geschichte via Whatsapp erzählt. Derzeit liegt dort das virtuelle Kondolenzbuch aus. Eine spannendere Art, Geschichte zu lernen und für die Gegenwart nutzbar zu machen, gibt es nicht.

 


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