Sehr geehrte Damen und Herren,
vielleicht erinnern Sie sich noch an August Richard, genannt „Gustl“ Lang. Gustl Lang war einst, in der großen Zeit der CSU, zunächst bayerischer Justizminister im Kabinett von Franz Josef Strauß, dann dessen Innenminister; und nach dem Tod von Strauß wurde Gustl Lang Wirtschaftsminister im Kabinett des Ministerpräsidenten Max Streibl. Dieser gewichtige Politiker der CSU spielt eine gewisse Rolle in meinem ersten Leben als Richter und Staatsanwalt; er spielt auch eine kleine Rolle in meinem zweiten Leben als Journalist. Davon möchte ich eingangs erzählen, aus gegebenem Anlass, der mit dem Asyl-, Ausländer- und Migrationsrecht zu tun hat.
Die zweite Begegnung
In meinem ersten Leben hat Gustl Lang, nachdem ich fast drei Jahre als „Richter auf Probe“ und ein paar Wochen als Staatsanwalt hinter mir hatte, die Ernennungsurkunde unterschrieben. „Im Namen des Freistaats Bayern berufe ich den Staatsanwalt Dr. Heribert Prantl mit Wirkung vom 1. Juli 1985 ins Beamtenverhältnis auf Lebenszeit“, stand darauf. Unterschrift: „August R. Lang, Staatsminister der Justiz.“ Ein paar gute, lehrreiche und spannende Jahre später habe ich mich aus dieser Lebenszeit verabschiedet und bin Journalist geworden. Und da begegnete mir Gustl Lang ein zweites Mal, diesmal in einer recht überraschenden Weise. Genauer gesagt war es keine Begegnung, es war ein Telefonat. Ich war Chef der innenpolitischen Redaktion der SZ geworden und Gustl Lang war nicht mehr Minister, sondern wieder Rechtsanwalt in seiner Kanzlei zu Weiden in der Oberpfalz.
Vom Saulus zum Paulus
In dieser Eigenschaft hatte ich ihn am Telefon. Er bat um publizistische Unterstützung für einen Mandanten, der abgeschoben werden sollte. Wir diskutierten seinen Fall, und der konservative Ex-Minister redete sich in Rage. Es sei ja, so knurrte und brummte er in dem mir sehr vertrauten oberpfälzischen Sound, wirklich furchtbar, „was für einen unglaublichen und herzlosen Schmarrn“ man da in seiner politischen Zeit in die Gesetze geschrieben habe. Dieses Bekenntnis nun war schon etwas Besonderes: Aus dem Saulus war ein Paulus geworden. Gustl Lang, ehemaliger politischer Hardliner, warb als Rechtsanwalt nicht nur bei Journalisten, sondern auch bei seinen Parteifreunden darum, die oft ziemlich erbarmungslosen Mechanismen des deutschen Ausländer- und Asylrechts zu ändern. Aber um da Erfolg zu haben, hätte er wohl alt wie Methusalem werden müssen; Lang ist 2004, 75-jährig, gestorben.
Kanzleischließung aus grenzenloser Frustration
An Gustl Lang und seinen ebenso späten wie vergeblichen Kampf mit den Tücken und Abgründen des Migrationsrechts habe ich denken müssen, als ich in der vergangenen Woche eine Bekanntmachung auf der Homepage des Grazer Rechtsanwalts Ronald Frühwirth las – nein, kein Todesfall, aber trotzdem schlimm. Der Advokat, einer er besten und engagiertesten Asyl-und Migrationsanwälte Österreichs, gab bekannt, dass er nach 14 Jahren seine Kanzlei schließt. Er schließt sie, und das ist das Traurige und Elende an seinem Fall, weil seine Verbundenheit mit dem Rechtssystem ins Wanken geraten, weil ihm der Glaube an den Rechtsstaat abhandengekommen sei: „Zu viele meiner Mandantinnen und Mandanten wurden in Elend, Lebensgefahr und Not abgeschoben.“ Als Rechtsanwalt sei er Teil dieses Rechtssystems: „Das möchte ich nicht mehr sein.“
Frühwirth gilt unter den Anwaltskolleginnen und Anwaltskollegen als ein juristisches Ass, als ein Meister in der Kunst, formal und inhaltlich tadellose Beschwerden an die Höchstgerichte zu formulieren; die Wohlfahrtsverbände, Caritas und Co., kennen ihn als einen unermüdlichen Kämpfer für die Menschenrechte. Aber: Er verzweifelt an der Politik, er verzweifelt an der immer härteren Linie der Gerichte, die Menschen ins Messer rennen lassen: Seit 2015 seien, so der Anwalt, fast alle seiner Rechtsmittel im Asylrecht zurückgewiesen worden.
Muss das Recht der Politik folgen?
Fast alle. Einer der letzten Erfolge Frühwirths war es, die Abschiebung eines siebenjährigen Mädchens nach Georgien zu verhindern; das Kind wäre dort gestorben, weil die Behandlung ihrer schweren Autoimmunerkrankung dort nicht möglich ist. Die Kollegin Edith Meinhart vom Wiener Magazin Profil fragt daher in ihrem Kommentar: „Was ist, wenn Anwälte wie Frühwirth aufgeben, weil sie nicht mehr glauben, dass ihre Rechtsmittel einen Sinn haben? Was ist, wenn Höchstgerichte ihre Aufgabe, schlechte Bescheide aufzuheben, nicht mehr zuverlässig wahrnehmen, weil immer mehr Richterinnen und Richter insgeheim auch finden, das Recht habe der Politik zu folgen?“
Diese Fragen, so die Kollegin, „schreien zum Himmel“. Das tun sie. Der FPÖ-Politiker Herbert Kickl hat als Rechtsaußen-Innenminister der geplatzten Regierung des Kanzlers Kurz nicht ohne Erfolg die hohe Justiz auf neue Härte getrimmt – mit einer Flut von Amtsrevisionen gegen positive Asylentscheidungen. Dazu fällt einem der bitter-ironische Satz des einst in die USA emigrierten jüdischen Schriftstellers Felix Pollak ein: „Macht geht vor Recht – damit könnte man sich zur Not noch abfinden. Aber dass das Recht auch noch hinter der Macht geht, das ist traurig.“
Helden des Alltags
Die Fachanwälte für Migrationsrecht gehören zu den Helden des Alltags; sie müssen sich, wenn sie gut sind, nicht nur im immerzu hektisch geänderten nationalen Recht, sondern auch in den Details des EU-Rechts profund auskennen, etwa im Arbeitserlaubnisrecht. Sie brauchen interkulturelle Kompetenz, müssen also Land und Leute kennen – das verhindert, wie es der Frankfurter Asylspezialist Victor Pfaff sagt, das „schädliche Helfersyndrom“ und auch „die einseitige Sicht durch die Asylbrille“, das führt „zu kritischer Empathie“.
Der gute Fachanwalt muss seinen Mandaten gegebenenfalls auch vor einem falschen Sachvortrag bewahren, den diesem womöglich Verwandte oder Freunde eingeblasen haben im Glauben, auf diese Weise zu helfen. Natürlich gibt es auch so manche anwaltliche Tätigkeit, die mehr Schaden anrichtet als Nutzen bringt; von der rede ich hier nicht. Der gute Fachanwalt ermittelt in langwierigen, oft durch Sprachschwierigkeiten erschwerten Gesprächen die vielleicht doch erfolgversprechenden richtigen Fakten. Und ein guter Fachanwalt ist sich auch nicht zu schade, in einem Gemeindesaal, in dem sich ein paar ehrenamtliche Helferinnen und Helfer zusammenfinden, deren Fragen zu beantworten.
Was ein Flüchtlingsanwalt können muss
Das Migrationsrecht sei mit der Tastatur eines Flügels vergleichbar, meint Pfaff: „Man kann darauf mit einem Finger Hänschen klein spielen, aber auch die Kunst der Fuge.“ Der Grazer Fachanwalt Ronald Frühwirth hat die Kunst der Fuge beherrscht; aber das hat ihm nichts geholfen, weil der Gesetzgeber und die Justiz Hänschen klein geklimpert haben.
Ich habe mit dem Wiener Rechtsanwalt Georg Bürstmayr gesprochen, der seit 25 Jahren im Migrationsrecht tätig ist. Er kann die Verzweiflung seines Grazer Kollegen gut nachvollziehen und schildert, wie er sich selbst davor schützt: „Ich habe einst als Zivildiener in einem Altersheim gelernt, dass meine eigene, möglichst gute Arbeit nichts daran ändert, dass die von mir mit betreuten sehr betagten Patienten womöglich am nächsten Morgen nicht mehr da, weil einfach gestorben sind. Ich habe mir also die Haltung zugelegt, dass es darauf ankommt, ob ich selbst im Rahmen meiner Möglichkeiten alles getan habe, was möglich war. Diese Grundhaltung ist mir auch im Anwaltsberuf hilfreich.“ Die Anwälte seien, so Bürstmayr, im Asylbereich allzu oft von Fürsprechern zu bloßen Trostspendern, von Vertretern von Interessen zu Verwaltern des Leids geworden. „Das erzeugt schon enorme Frustration.“
Vom Werfen mit Textbausteinen
An vielen Universitäten gibt es seit einigen Jahren die unentgeltliche studentische Rechtsberatung für Asylsuchende, die einer breiteren Öffentlichkeit als „Refugee Law Clinic“ bekannt ist. Da lernen die Studenten nicht nur mit dem Asylrecht, sondern auch mit der Frustration umzugehen. Ich wünsche mir ein Flüchtlingsrecht ohne Willkür; ich wünsche mir Behörden und Gerichte, in denen die Flüchtlinge nicht mit Vorurteilen und Textbausteinen beworfen werden.
Und Ihnen wünsche ich eine schöne Spätsommer-Woche.
Ihr
Heribert Prantl,
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung