Sehr geehrte Damen und Herren,

es war die SPD, es waren starke Frauen in der SPD, die für die Gleichberechtigung und für das Wahlrecht gekämpft haben. Es war, zum Beispiel, Marie Juchacz, die vor hundert Jahren als erste Frau in einem deutschen Parlament geredet hat. Es war, zum Beispiel, Elisabeth Selbert, die dreißig Jahre später dafür gesorgt hat, dass der große Gleichberechtigungssatz einstimmig ins Grundgesetz geschrieben wurde. Und das war, zum Beispiel, Jutta Limbach, die erste Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, die vor 25 Jahren dieses Amt angetreten, es mit Tatkraft und gewandter Freundlichkeit acht gute Jahre geführt und gelehrt hat, dass Gleichberechtigung kein Gedöns, sondern ein Gebot ist. Mehr noch, mit ihrer Ausstrahlung war sie die Verkörperung einer selbstbewusst daherkommenden Gleichberechtigung.

Was August Bebel heute sagen würde

Solche Frauen hatte schon August Bebel, der Ahnherr der SPD, vor Augen, als er seiner Partei die Bekämpfung aller Vorurteile, „die der vollen Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen“, ins Stammbuch geschrieben hat: „Die Frau der neuen Gesellschaft ist sozial und ökonomisch vollkommen unabhängig, sie ist keinem Schein von Herrschaft und Ausbeutung mehr unterworfen, sie steht dem Manne als Freie, Gleiche gegenüber und ist Herrin ihrer Geschicke.“ So steht das in Bebels berühmtem Buch aus dem Jahr 1879. „Die Frau und der Sozialismus“ heißt das jetzt 140 Jahre alte Werk, es war ein unglaublicher Renner, es war eine Sensation, ein Longseller, allein zu Bebels Lebzeiten erschienen 52 Auflagen. Bis 1913 wurde es in zwanzig Sprachen übersetzt.

Aber die Übersetzung des Bebel-Buchs in die politische Praxis der Sozialdemokratie hat lange gedauert – und diese Übersetzung in die Praxis ist noch immer nicht abgeschlossen. Das zeigt sich jetzt in dem Verfahren, mit dem die SPD neue Vorsitzende sucht. Die Bewerbungsfrist endet in einer Woche. Warum eigentlich hat sich die SPD auf eine Doppelspitze aus Mann und Frau festgelegt? Warum traut sie einer einzelnen Frau die Aufgabe nicht zu?

Die süffige Arroganz gegenüber Nahles

Wie gesagt: Es gab und gibt in der SPD viele streitbare Frauen, die sich hervorgetan und politische Anstöße gegeben haben. Aber oft wurden sie intern nicht besonders gemocht und schon gar nicht für befähigt gehalten, die Partei zu führen. Die lange Liste der männlichen Parteivorsitzenden ist dafür ein beredter Beweis, sie wurde erst 2018 unterbrochen durch Andrea Nahles, die aber von vielen Parteimännern von vornherein eigentlich doch nicht für befähigt gehalten wurde – und die dann nach einem Jahr das Handtuch warf. In diesem Zusammenhang darf man einige Parteimachos beim Namen nennen: vorneweg Gerhard Schröder und Sigmar Gabriel samt ihrer süffisanten Arroganz gegenüber Nahles.

Nun ist die SPD auf den Doppelpack gekommen. Warum? Weil das gerade so gut bei den Grünen klappt? Oder weil man damit der Gleichberechtigung weiter auf die Sprünge helfen will? Danach sieht es aber nicht gerade aus. Denn dann hätte die SPD doch sagen können: „Selbst wenn es mit Andrea nicht so gut geklappt hat, wollen wir gerne eine Frau an der Spitze der SPD sehen.“ Stattdessen hören wir jetzt seit vielen Wochen, dass es für die potentiellen Kandidaten so schwer war und ist, geeignete und befähigte Frauen für die Paarbildung zu finden. Das mag so sein, hat aber auch mit der noch immer patriarchalischen Struktur der SPD zu tun. Und es hat damit zu tun, dass sich Frauen in der SPD dieser Struktur fügen und sich selbst nicht trauen. Sie reüssieren, wenn sie von Männern gefördert werden, dann bescheiden sie sich aber dann mit dem, was ihnen zugewiesen wird.

Wo bleibt die Frauenpower?

Siehe Manuela Schwesig: Sie hatte in Frank-Walter Steinmeier, dem jetzigen Bundespräsidenten, einen Förderer, bekam ihre Rollen zugewiesen; als erste Rolle war es die im Kompetenzteam des Kanzlerkandidaten Steinmeier zur Bundestagswahl von 2009. Schwesig hat ihre Rollen gut ausgefüllt. Und nun? Warum tritt sie nicht als Kandidatin für den Vorsitz an? Weil sie Ministerpräsidentin ist? Das wird sie nicht mehr lange sein, wenn es mit der SPD so weitergeht. Warum dann nicht für die SPD an vorderer Stelle kämpfen? Schwesig befürchtet ganz einfach, dasselbe Schicksal wie Nahles zu erleiden. Und Franziska Giffey, die beliebte jetzige Bundesfamilienministerin? Sie ließ sich von der universitären Überprüfung ihrer Doktorarbeit, die sich skandalös lange dahin zieht, den Schneid abkaufen – statt alles auf  eine Karte zu setzen und zu kandidieren. Wo bleibt da die Frauenpower? Mit ihr und dem Abbau der Männerdominanz ist es in der SPD immer noch nicht so gut bestellt.

Promigenosse sucht Frau? Das ist altbacken!

Ist da der Doppelpack eine Chance? Vielleicht. Aber es sieht derzeit noch sehr aus nach „Promigenosse sucht Frau“. So war es auch beim Kandidaten Olaf Scholz, dem Bundesfinanzminister, der dann auf Klara Geywitz kam, die frühere SPD-Generalsekretärin in Brandenburg; die ist eine spannende Frau, die schon als Nachfolgerin des amtierenden SPD-Ministerpräsidenten Dietmar Woidke gehandelt wurde und wird. Warum eine Frau nur im Doppelpack mit einem Mann? Wie wäre es mit einer Genossin, die solo und selbstbewusst kandidiert? Gesine Schwan, zweimalige Kandidatin der SPD für das Amt der Bundespräsidentin, nominiert dafür jeweils in wenig aussichtsreicher Lage und dennoch kampfeslustig, hätte es fast vorgemacht, aber sie ist mit 76 Jahren nicht mehr die Frau, die für die Zukunft der SPD steht; und auch sie wurde dazu gebracht, sich einen Mann, nämlich Ralf Stegner, an die Seite zu stellen.

Eine weibliche Doppelspitze wäre etwas wirklich Neues

Zu Beginn der achtziger Jahre, vor vierzig Jahren also, in einer Zeit, in der die Gewerkschaften für die 35-Stunden-Woche kämpften, diskutierte der linke, den Gewerkschaften zugeneigte Philosoph Oskar Negt einmal mit dem katholischen Sozialethiker Oswald von Nell-Breuning. Dieser sagte ihm: „Junger Freund, Sie kämpfen für 35 Stunden in der Woche. Dabei wären zehn Stunden völlig ausreichend, wenn die Menschen vernünftig mit ihren Ressourcen umgingen.“ Zehn Stunden pro Woche, so sagte der katholische Denker, wären völlig ausreichend. Das war, deshalb erwähne ich das, schon die Vorstellung von August Bebel, dem Arbeiterkaiser, der in den Anfängen der SPD ihr Chef war. Er verband seine Vorstellungen von der Zukunft der Arbeitsgesellschaft mit der umfassenden Gleichberechtigung der Frau, also der gleichberechtigten Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen in Beruf wie Gesellschaft.

Die Utopien von gestern sind heute nicht falsch geworden; sie müssen aber angesichts neuer Herausforderungen neu gedacht werden. Die SPD muss den Mut haben, so mutig zu denken, wie Bebel einst gedacht hatte. Es geht nicht darum, Ideen aus dem 19. Jahrhundert in altem Gewand wieder aufzulegen. Es geht darum, mit dem Mut und der Ideenkraft, die Leute wie Bebel ausgezeichnet haben, Politik zu machen. Solchen Mut darf man der SPD wünschen. Er wird ihr und der deutschen Politik guttun.

Lasst doch mal zwei Frauen ran!

Malu Dreyer, die kluge Ministerpräsidentin aus Rheinland-Pfalz, hat, wohl nicht zuletzt ihrer MS-Krankheit wegen, eine Kandidatur für den Parteivorsitz abgelehnt. Aber vielleicht könnte sie es, zusammen mit einer anderen Frau, zum Beispiel mit Manuela Schwesig, doch machen. Warum wird eigentlich nur über eine gemischte Doppelspitze geredet? Bebel würde heute sagen: „Wir müssen das doch nicht den Grünen nachmachen. Lasst doch mal zwei Frauen ran.“ Eine weibliche Doppelspitze wäre etwas wirklich Neues.

Schöne letzte August-Tage wünscht Ihnen

Ihr

Heribert Prantl,

Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung


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