Der Gesetzgeber muss Gesetze beraten, sie nicht bloß im Schweinsgalopp transportieren. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb das Heizungsgesetz gestoppt. Der Beschluss sollte der Politik eine Lehre sein.

Von Heribert Prantl

Es ist üblich geworden, dass man umfangreiche Gesetze als Pakete bezeichnet. Da gibt es „Sicherheitspakete“, da gibt es „Rentenpakete“, „Migrationspakete“, „Sparpakete“, „Energiepreispakete“, „Heizungspakete“ und viele andere mehr. Diese Pakete werden meist von der Bundesregierung zusammengestellt, verpackt und dann dem Parlament zugleitet, das sie auspacken, intensiv prüfen, verändern, ergänzen und dann darüber abstimmen soll.

So sie eine Mehrheit finden, werden sie, dann noch mit der Unterschrift des Bundespräsidenten versehen, Gesetz. Es gibt eine Geschäftsordnung dafür, wie das ablaufen soll, welche Regeln und Fristen dabei zu gelten haben, sodass Zeit zur gründlichen Beratung in den Ausschüssen und mit Sachverständigen bleibt.

Im Hauruckverfahren

Das ist die Theorie. Die Praxis ist anders. Die Beratungsfristen werden auf Druck der Regierung rigoros abgekürzt; beschleunigtes Verfahren nennt man das dann. Verkürzte Fristen sind zwar in den Geschäftsordnungen vorgesehen, aber als Ausnahme; sie sind zur Regel geworden. Den Last-Minute-Gesetzentwürfen folgen Last-Second-Änderungen. Es ist üblich geworden, dass in der Nacht vor einer entscheidenden Ausschusssitzung die Regierungskoalition noch ein paar Hundert Seiten mit Änderungsanträgen schickt.

Der Inhalt des Pakets wird also ausgetauscht. Die Abgeordneten und die Sachverständigen sollen also über etwas beraten, was sie noch gar nicht kennen können. Wenn Recht auf diese Weise mit Druck der Regierung im Hauruck-Stil durchgepeitscht wird, verkommt das Parlament zum Abnickverein.

Um im Bild vom Gesetzespaket zu bleiben: Der Bundestag wird zum Parcel-Service. Das ist aber nicht die Rolle, die das Grundgesetz dem Bundestag zuschreibt. Der Bundestag ist nicht ein Paketdienstleister wie DHL, DPD oder Hermes, bei dem die Zusteller freilich besonders qualifiziert sind und „in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl gewählt“ werden, „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind“.

Die Aufgabe der Abgeordneten ist es nicht, als Paketzusteller zu fungieren, die die Gesetzespakete der Bundesregierung zur Unterschrift zum Bundespräsidenten befördern. „MdB“ heißt „Mitglied des Bundestags“, nicht „Mitglied der Bundespost“. Der Bundestag ist der zentrale Ort der deutschen Demokratie, nicht eine Regierungspost-Annahmestelle.

Weil das so sein soll und so sein und bleiben muss, hat soeben das Bundesverfassungsgericht in einer Eilentscheidung in das hastige Gesetzgebungsverfahren beim Gebäudeenergiegesetz eingegriffen und die Abstimmung darüber gestoppt. Der entscheidende Satz lautet: „Den Abgeordneten steht nicht nur das Recht zu, im Deutschen Bundestag abzustimmen, sondern auch das Recht zu beraten. Dies setzt eine hinreichende Information über den Beratungsgegenstand voraus. Die Abgeordneten müssen dabei Informationen nicht nur erlangen, sondern diese auch verarbeiten können.“

Es begann mit den Anti-Terror-Gesetzen

Die Missachtung des Parlaments hat in Terrorzeiten angefangen: Nach den islamistischen Anschlägen von al-Qaida peitschte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily die Anti- Terrorismus-Gesetze (es waren diverse „Schily-Pakete“) in einer solchen Hast durch den Bundestag, dass den Parlamentariern zum Nachdenken und Beraten keinerlei Zeit blieb. Der Innenausschuss musste ein gigantisches Gesetzespaket beraten, das ihm einige Stunden vorher noch gar nicht in der Endfassung vorlag.

Und schon zwei Tage später sollte der Bundestag die Gesetze verabschieden, die bis zur letzten Sekunde zwischen Rot und Grün einerseits und Schily und den Bundesländern andererseits verhandelt wurden. Der Bundestag stimmte über ein Paket mit mehr als hundert Gesetzen ab, das kaum einer genau kannte, dem aber gleichwohl eine große Mehrheit zustimmte. Kaum einer blickte durch, aber fast alle waren dafür. Warum? Weil Sicherheit hoch im Kurs stand und noch immer steht; weil die SPD gegen ihren Schily nichts sagen wollte; weil die Grünen nicht gegen ein Gesetz stimmen wollten, das sie selbst mit beraten hatten; weil die Union bei keinem Paket die Annahme verweigerte, bei dem „Sicherheit“ draufsteht.

Noch kein Innenminister der Bundesrepublik hatte Gesetzesänderungen von dieser Dimension in so kurzer Zeit durchgesetzt. Verglichen damit waren selbst die Verschärfungen der RAF-Zeit pointilistischer Natur: Sie waren sehr tiefgreifend, beschränkten sich aber auf wenige Punkte. Das Schily-Paket dagegen sah aus wie ein gigantisches Fresspaket nach einem Streifzug durch den rechtspolitischen Supermarkt. Es wurde rasend schnell Gesetz – und wurde dann später zweimal verlängert.

In Notzeiten wird quasi der Terrorist zum Gesetzgeber. Er macht so Druck auf die Politik, dass diese keine Zeit mehr hat oder haben will, ihre rechtsstaatlichen Regeln einzuhalten. Das war schon so im sogenannten Deutschen Herbst von 1977, als der Terror der RAF mit der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer in Köln seinen Höhepunkt erreichte.

Setzer und Metteure der Bundesdruckerei hatten damals ein besonderes Erlebnis: Sie mussten den Text eines Gesetzes in Druck geben, das zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht beschlossen war – und sogar eine Unterschrift daruntersetzen („gez. Scheel, Bundespräsident“), die erst am nächsten Tag geleistet wurde. Ansonsten hätte das Gesetz nicht so schnell in Kraft treten können – am 1. Oktober 1977.

Später waren es nicht mehr die Terroristen, da waren es die Finanzmärkte, von denen sich die Politik zu hektischer Gesetzgebung veranlasst sah. Im Jahr 2008 hat der deutsche Gesetzgeber in nur vier Tagen das 500-Milliarden-Paket zur Rettung der Banken verabschiedet. In gleicher Hast wurde dann 2010 das Milliarden-Hilfspaket für Griechenland verabschiedet. „Epochale“ Gesetze (so Bundesinnenminister Schily im Jahre 2001 über seine Anti-Terror-Gesetze) werden im Schweinsgalopp produziert und noch im Produktionsprozess wieder abgeändert, dass die Abgeordneten nicht mehr wissen, auf welche Fassung sich die Änderungen beziehen.

Diese Gesetzgebungshektik ist, wie beschrieben, nicht neu, aber sie wird immer mehr von der Ausnahme zur Regel. Nicht jedes Gesetz ist „epochal“. Und gerade bei den Gesetzen, die es sind, und ich rechne das Heizungsgesetz dazu, ist es wichtig, dass besonders intensiv beraten wird. Das Bundesverfassungsgericht hat sich deshalb mit seinem vorläufigen Stopp des Heizungsgesetzes Verdienste erworben. Es hat zwar inhaltlich zu diesem Gesetz noch gar nichts gesagt. Es hat aber gesagt, dass jeder Abgeordnete ausreichend Zeit haben muss, das Gesetz zu studieren, bevor er darüber abstimmt. Das ist zukunftsrelevant.

 


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