Ein böses Lehrstück aus Polen zeigt, wie Regierungen den Rechtsstaat lahmzulegen versuchen. In Österreich gibt es ähnliche Entwicklungen.

Jeder weiß, was Carsharing ist. Da teilen sich eine ganze Reihe von Menschen ein Auto. Das ist praktisch, ökonomisch und ökologisch. Daher wird dieses Carsharing immer beliebter. Es wäre schön, wenn es mit der Gewaltenteilung auch so wäre, wenn also auch die Gewaltenteilung immer beliebter würde. Das Gegenteil ist der Fall. Viele Menschen wissen auch gar nicht so recht, was das bedeutet. Aber die Autokraten in Polen und Ungarn wissen das sehr wohl. Autokraten sind Leute, die am liebsten allein und ungestört regieren. Sie hassen die Gewaltenteilung, sie versuchen alles, um sie abzuschütteln und abzuschaffen.

Autokraten wollen alle Staatsgewalt alleine. Sie wollen sie nicht teilen; sie wollen nicht, dass da noch jemand ist, der Staatsgewalt hat; sie wollen nicht, dass sie kontrolliert werden. Für diese Kontrolle ist in Rechtsstaaten eine unabhängige Justiz zuständig; eine solche unabhängige Justiz ertragen Autokraten nicht, eine Justiz akzeptieren sie nur, wenn sie abhängig ist – von ihnen. Sie begründen diese Herrschsucht mit der Demokratie; sie seien schließlich gewählt worden.

Die Pervertierung von Demokratie

Aber das ist ein kapitales Missverständnis von Demokratie, das ist die Pervertierung von Demokratie. Diese Perversion findet besonders brutal in der Türkei statt und besonders hinterlistig in Ungarn und in Polen. Heute soll aus gegebenem Anlass von Polen die Rede sein. Polen hat, man muss das leider so sagen, den Rechtsstaat abgeschafft. Die regierende PiS-Partei begründet diese Untat mit Demokratie; sie habe bei den Wahlen eben die Mehrheit erzielt. Deswegen setzt sie Richter ab, die ihr nicht passen; deswegen schickt sie Richter in die Zwangspension – und besetzt die Gerichte dann mit ihren Gefolgsleuten neu.

Den Wahlakt verstehen, missverstehen Autokraten als Ermächtigung zur Selbstermächtigung: Der Autokrat hält sich selbst für den Staat. Und er handelt so, wie er es für richtig hält; er geht mit denen, die seine Gegner sind oder die er dafür hält, so um, wie es ihm beliebt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wirft sie ins Gefängnis. Jarosław Kaczyński, Chef der polnischen Regierungspartei, lässt sie aus ihren Ämtern werfen. Erst hat er das bei den Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens so gemacht – wer nicht spurt, wurde entlassen. Dann bei den Richtern. Und Kaczyński ist gewohnt, dass die Leute kuschen.

Der Name des Widerstands

Aber nicht alle tun es. Es gibt Widerstand. Und davon möchte ich Ihnen heute erzählen. Der Widerstand hat in Polen einen schönen Namen – er heißt Małgorzata Gersdorf. Małgorzata ist ein weiblicher polnischer Vorname, auf Deutsch Margarete. Die Trägerin dieses Namens ist eine wunderbar kluge, 66Jahre alte Juristin und Rechtsprofessorin. Sie war während der Achtzigerjahre in der Gewerkschaftsbewegung Solidarność aktiv, die das kommunistische Regime Polens in die Knie zwang. Gersdorf wurde Dekanin an der Fakultät für Rechtswissenschaft in Warschau, wurde 2008 zur Richterin am Obersten Gericht ernannt und stieg 2014 zu dessen Präsidentin auf – bis die PiS-Regierung ihren Rausschmiss inszenierte. Gersdorf wird am kommenden Samstag in Stuttgart der Theodor-Heuss-Preis verliehen – für ihren „Widerstand für den Rechtsstaat“.

Małgorzata Gersdorf war und ist die Präsidentin des Obersten Gerichts in Polen. Man muss „war und ist“ schreiben, weil die PiS-Regierung sie (und viele andere Richterinnen und Richter) quasi über Nacht zwangsweise und verfassungswidrig in Pension schickte – man senkte einfach auf die Schnelle die Altersgrenze von 70 auf 65 Jahre, scherte sich nicht um die in der Verfassung festgeschriebene Amtszeit. Man wollte freie Hand. Es war dies eine Maßnahme von vielen im Zuge der sogenannten Justizreform, die eine Rechtsstaats-Zerstörung war und ist und das Ende der Unabhängigkeit der polnischen Justiz bedeutet.

Małgorzata Gersdorf: In Richterrobe und mit weißer Rose

Gersdorf ließ sich das aber nicht gefallen: „Ich stelle fest, dass meine Amtszeit bis zum 30. April 2020 andauert und ich kraft des höchsten Rechts der Republik Polen, der Verfassung, zur Amtsführung verpflichtet bin“. So schrieb sie dem Staatspräsidenten und erschien, angetan mit ihrer Richterrobe und mit einer weißen Rose in der Hand, in ihrem Gericht zum Dienst, obwohl die Regierung sie als „a.D.“ apostrophierte. Sie blieb, sie arbeitete einfach weiter, Tag für Tag. Die polnische Regierung war irritiert, weil sie damit nicht gerechnet hatte. Und noch irritierter war die Regierung, als der Europäische Gerichtshof in einer Eilentscheidung die Zwangspensionierungen rückgängig machte.

Dieser Sieg des Rechtsstaats und der Gewaltenteilung war aber nur ein kleiner Sieg. Weil das Warten auf die ordentliche Pensionierung von Gersdorf & Co der Regierung zu lange dauert, schafft sie neue Richterstellen, um die unabhängigen alten Richter von abhängigen neuen überstimmen zu lassen. Und zugleich jagt sie ein neues Gesetz ums andere durchs Parlament, um die Justiz endgültig zu einem Erfüllungsorgan der PiS-Regierung zu machen.

Wien auf Warschaus Spuren?

Die Autokraten wollen nicht verstehen, dass Demokratie mehr ist als eine Abstimmungsprozedur; sie ist eine Wertegemeinschaft. Wenn die in der Verfassung verankerten Werte nicht geachtet werden, wenn die Unabhängigkeit der Richter missachtet wird, wenn die Pressefreiheit gewürgt und erwürgt wird – dann ist die Demokratie wertlos.

Die Selbstermächtigung der populistischen Extremisten beginnt regelmäßig mit Angriffen auf die Pressefreiheit: So war es in Ungarn und Polen, so ist es jetzt in Österreich. Die wüsten Attacken des FPÖ-Generalsekretärs Harald Vilimsky auf den ORF-Journalisten Armin Wolf sind Teil einer groß angelegten Einschüchterungskampagne gegen die Medien. Norbert Steger, auch FPÖ und fatalerweise Stiftungsrats-Chef des ORF, hat Armin Wolf zynisch ein „Sabbatical“ nahegelegt.

Die Hellbraunen von Österreich

Der ORF soll seines unabhängig-kritischen Potenzials beraubt, er soll in eine Propagandamaschinerie umgewandelt werden. Wer nicht kuscht, fliegt. Das wird, so hoffen die „Blauen“, die man ehrlicherweise „Hellbraune“ nennen müsste, seine Wirkung auch auf Zeitungsjournalistinnen und -journalisten nicht verfehlen. Das ist brandgefährlich – die Pressefreiheit ist ein Indikatorengrundrecht: Wenn die Pressefreiheit bedroht wird und bedroht ist, folgt die Bedrohung anderer Grundrechte auf dem Fuß, dann ist auch die richterliche Unabhängigkeit in Gefahr. In Österreich, in diesem schönen Land im Herzen Europas, hat die rechtspopulistische Vergiftung schon ein grundrechtsgefährdendes Maß erreicht.

Die Europawahl in drei Wochen ist die Gelegenheit, die Grundrechte zu stärken gegen ihre Verächter.


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