Die Geschichte der SPD zeigt, dass es die masochistischen Neigungen der Partei auch schon in den großen Zeiten mit Willy Brandt gab.

Von Heribert Prantl

Es ist, mitten im Frühsommer, der Herbst der Sozialdemokratie. Die Kommentare in den Zeitungen fallen schon lange auf die SPD wie welkes Laub. Die Meinungsumfragen riechen nach Abschied. Andrea Nahlesverabschiedet sich auch. Die Partei- und Fraktionsvorsitzende hat den Kampf um ihre Wiederwahl aufgegeben. Sie tritt als Partei- und Fraktionsvorsitzende zurück. Sie war der beziehungsweise die fünfzehnte Vorsitzende seit Willy Brandt, wenn man die drei kommissarischen Parteichefs mitzählt. Der Verschleiß zeigt, dass der Vorsitzenden-Wechsel nicht die Lösung ist. Es ist aber auch keine Lösung, einfach nicht zu wechseln, es einfach bei dem oder der Alten zu lassen. Vor uns liegt eine Woche, in der die Sozialdemokratie zeigen muss, welche Kraft, welche Kräfte sie noch aktivieren kann.  Womöglich geht es  um Sein oder Nichtsein.

Mit Dreyer und Schwesig?

Noch ist die SPD ist nicht verloren;  aber sie kann verloren sein, wenn sie jetzt nicht alles aufbietet, was sie hat – zum Beispiel Malu Dreyer, zum Beispiel Manuela Schwesig, die beiden Ministerpräsidentinne; zum Beispiel Matthias Miersch, den 50jährigen Parteilinken, zuständig für Natur und Umwelt; er ist ein 68er – Geburtsjahrgang! Die Auswahl ist nicht mehr sehr groß. Und wem aus diesem Kreis traut  man das Unmögliche zu? Wer kann eine „mission impossible“ bewältigen? Das ist die Frage der nächsten Wochen.

Die Art und Weise, wie seit einiger Zeit über die Schwächen, Fehler und Gebrechen der SPD geschrieben und geredet wird, erinnert einen an den Sommer und Herbst 2008. Damals wurde freilich nicht über die SPD so geredet, sondern über die CSU. Und es war dann auch tatsächlich so, dass die CSU bei der Landtagswahl in Bayern eine krachende Niederlage erlitt. Die Partei des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten verlor 17,3 Prozentpunkte, sie verlor die absolute Mehrheit der Landtagsmandate, die sie seit 1992 gehalten hatte, sie verlor ihren Ruf der Unbesiegbarkeit. Verglichen mit der morbiden Stimmung von damals ist die CSU heute, elf Jahre später, wieder einigermaßen gut beieinander – obwohl die Zeit der alten Herrlichkeit endgültig vorbei ist. Daraus könnte sich der Rat an die SPD ergeben, dass man, um es auf gut bayrisch zu sagen, dieLätschn, also das Gesicht, nicht verziehen darf. Das  mag der Wähler nicht. Aber das Niveau, auf dem sich die SPD in Wahlen und Umfragen mittlerweile bewegt, ist ja jämmerlich, dass das schwer fällt, vielleicht unmöglich ist.

Auch die großen Zeiten der SPD waren nicht immer groß

Die Erinnerung an die lätscherten Zeiten der CSU kann die SPD kaum trösten. Es gibt  mittlerweile Kommunen, in denen wird sie in den Wahlergebnissen gar nicht mehr eigens weil sie dort nur noch  Splitterparte ist. Die SPD, die in Bayern jedenfalls, stand schon damals schwächlich da und ist seitdem immer schwächlicher geworden. Von der Schwäche der CSU profitierte sie auch im schlechten 2008er Jahr  der CSU nichts, sie verlor trotzdem. Heute würde sie sich die Finger abschlecken, wenn sie wenigstens auf die Zahlen von damals käme. Aber es sieht nicht überall so furchtbar schlecht aus: In zehn Bundesländern regiert die SPD, in sechs Bundesländern stellt sie den Regierungschef. So betrachtet steht die SPD, trotz aller Krisen,  insoweit und in etwa so da wie 1987 in der alten Bundesrepublik –  in der Zeit, als der große Willy Brandt nach 23 Jahren den Parteivorsitz abgab und die andauernden Führungskrisen bei der SPD begannen. Damals 1987, das war vor der Deutschen Einheit, war die SPD nur in vier Bundesländern an der Regierung. Das heißt: Auch die großen Zeiten der SPD waren nicht immer groß. Und es kann sein, dass die SPD von den roten Flecken aus, die es in Deutschland noch gibt – Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg – wieder Fuß fasst.

Hype und Heiperl

Der Zustand der SPD ist aber derzeit so, dass ein Freund der alten Volksparteien vor Scham so rot wird, wie es die SPD schon lang nicht mehr ist. Man greift mit  einer gewissen Wehmut zu einer großen Rede  greift, die in diesem Jahr ein Jubiläum hat: Vor bald fünfzig Jahren hat Willy  Brandt die Regierungserklärung gehalten, aus der der Satz „Mehr Demokratie wagen“ im kollektiven Gedächtnis geblieben ist. Verglichen mit der Euphorie, von der damals, vor fünfzig Jahren, Willy Brandt ins Kanzleramt getragen wurde, ist selbst der Grünen-Hype von heute – nur ein Heiperl. Wer zu Brandts Rede von 1989 greift, um daraus dann für heute den Satz „Mehr SPD wagen“ zu destillieren, der kann aber auch gleich in einer zweiten große Rede von Brandt weiterlesen, in der Rede vom 14. Juni 1987, in der Brandt sich, auf einem Sonderparteitag ihm zu Ehren in der Bonner Beethovenhalle, von der Spitze der SPD verabschiedet hat. Und dann wird klar, dass mitnichten alles Gold war, damals.

Nr. 16 nach Willy Brandt

Manche Brandt-Sätze von 1987 könnten auch heute, in der Nahles-Krise,  gesagt werden; und die Art und Weise, wie Brandt damals aus der eigenen Partei heraus demontiert wurde, erinnert daran, wie später viele seiner Nachfolger demontiert wurden. Machtspiele waren damals brutale Spiele; und sie sind es heute auch. Brandt selbst sprach in seiner Rücktrittsrede von den „masochistischen Neigungen“ der SPD und er warnte davor, die Lage „nicht noch düsterer zu machen“. Und er sprach davon, dass so manchem Sozialdemokraten manchmal zumute sein mag „wie dem Indianerjungen, der im Fernsehen zu viele Wildwest-Filme sah und traurig seinen Vater fragte: ‚Daddy, weshalb gewinnen immer die anderen?‘“

Die SPD ist nicht mehr „im Kern gesund“. Sie hat Kernfäule

Brandt klagte darüber, dass die SPD „einen großen Teil aus den jüngeren Jahrgängen“ nicht mehr erreiche – diese Feststellung gilt  heute für SPD und CDU gleichermaßen.  Aber, trotz allem Ärger, den Brandt vor allem in seinen letzten Vorsitzenden-Zeit mit seiner SPD hatte, attestierte er ihr beim Abschied: „Die Partei ist in ihrem Kern gesund“. Das kann Andrea Nahles, Brandts fünfzehnte Nachfolgerin, bei ihrer Abschiedsrede nicht mehr sagen. „Die Zeiten des mündigen Bürgers sind nicht vorbei“, hat Willy Brandt damals, in seiner Abschiedsrede, prognostiziert.  Heute freilich ist es so, dass erst einmal die SPD wieder mündig werden muss.

Eine Partei ist der Menschen wegen da

Es reicht gewiss nicht, wieder einmal und schon wieder den Parteivorsitz neu zu besetzen. Aber vielleicht kann es ein Anfang sein, wenn diejenigen, die diese Verantwortung und die damit verbundenen Risiken  bisher gescheut haben, sie nun in der Zeit der großen, der vielleicht finalen  Not der Partei übernehmen: Malu Dreyer zuvorderst,  die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz; Manuela Schwesig, die Regierungschefin in Schwerin, als Stellvertreterin, neben ihr womöglich der sozialdemokratische Umweltexperte Mathias Miersch, Sprecher der parlamentarischen Linken; und, alles Spekulationen sind erlaubt, Franziska Giffey als Generalsekretärin, die das mit und ohne Doktortitel herzhaft anpacken könnte. Vielleicht wird es so, vielleicht auch ganz anders. Es gilt jedenfalls immer und  jederzeit ein Satz von Willy Brandt; er gilt für die SPD, er gilt für die CDU, er gilt für alle anderen auch:  Eine Partei „ist der Menschen wegen da – derer, die sie vertritt, und derer, um die sie sich bemüht.“ Wenn die Menschen von diesem Bemühen nichts mehr spüren, dann erlischt eine Partei.

Ich wünsche uns allen eine gute, eine spannende Vor-Pfingstwoche. Ein bisschen Heiliger Geist kann der Politik nicht schaden.

Sehr herzlich

Ihr

Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung


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