Sehr geehrte Damen und Herren,

dieser Brief dreht sich um die „amerikanische Eröffnung“ und deren gesellschaftspolitische Bedeutung. Es hat sich darüber ein großer Streit entzündet, der, weil es sich um eine Grundsatzfrage handelt, noch anhalten und zu weiteren Diskussionen führen wird.

Bei dieser „amerikanischen Eröffnung“ handelt es sich weder um eine besondere Taktik beim Schachspielen noch um die Einweihung der neuen US-Botschaft in Jerusalem. Es ist dies auch nicht ein prekäres Detail aus dem Handelskrieg von Donald Trump mit China. Der Hinweis auf den Handel führt uns allerdings zum deutschen Lebensmitteldiscounter Lidl, der 10.500 Filialen in 29 Ländern besitzt und der, wie man aus der Lebensmittelzeitung erfährt, seine US-Strategie derzeit grundlegend geändert hat: Lidl will in den USA nicht mehr große Glaspaläste bauen, sondern kleine Läden in regionalen Zentren, und bis Ende nächsten Jahres hundert davon betreiben, vor allem an der Ostküste. Das ist sehr interessant, weil der Konzern nach einem Fehlstart in den USA dort einen neuen Chef namens Johannes Fieber hat und man gespannt verfolgen wird, wie sich Lidl in der Konkurrenz mit dem Discounter Aldi schlägt, der in den USA schon 1.800 Filialen betreibt.

Den Denver-Clan im Herzen

Aber auch diese prickelnde Rivalität der deutschen Discounter in den USA ist hier mit „amerikanische Eröffnung“ nicht gemeint. Gemeint ist die in Deutschland um sich greifende, sehr patriarchalische Sitte, dass bei einer kirchlichen Trauung der Vater der Braut seine Tochter in die Kirche und an den Altar führt und sie dann dem dort wartenden Bräutigam übergibt. In Zeiten von Patchworkfamilien, in denen oft kein Vater zur Hand ist, wird seine Stelle dann von einem anderen Mann eingenommen, vom Bruder oder vom Trauzeugen. Weil diese Art der Brautübergabe aus dem US-Amerikanischen kommt und sich via „Dallas“, „Denver“ und anderer Filme aus Hollywood in die Herzen von deutschen Brautpaaren geschlichen hat, wird dieser durchaus umstrittene Auftakt „amerikanische Eröffnung“ genannt.

Wie umstritten dieser Auftakt ist, hat soeben ein Brautpaar aus Ostbevern im Münsterland erfahren. Die Braut wollte sich, weil sie das für einen schönen Brauch hielt, von ihrem Vater zum Altar führen und dort dem Bräutigam übergeben lassen. Der katholische Pfarrer Marco Klein, erst seit Mai an der St. Ambrosius-Gemeinde in Ostbevern tätig, lehnte das ab: Er wolle kein antiquiertes Rollenbild unterstützen. „Ich halte es für nicht zeitgemäß, dass die Frau damit symbolisch aus dem Rechtsbereich des Vaters in den Rechtsbereich des Ehemanns übergeben wird.“ Der Pfarrer fand, dass die „amerikanische Eröffnung“ nicht der Realität der Paare entspreche, die ja meist schon lange zusammenlebten. Und sie habe „mit der lange erkämpften Gleichberechtigung von Mann und Frau nichts zu tun“, sagte der 40 Jahre alte Geistliche den Westfälischen Nachrichten. Er wolle, dass die Symbolik im Hochzeitsgottesdienst die Gleichberechtigung und die Selbständigkeit der Frau zum Ausdruck bringe.

Ein festliches Reservat für Männerdominanz

Pfarrer Klein erntete einen Hurrikan der Empörung im Internet, in dem viele stürmisch die Ehre des Brautvaters verteidigten und sich vor allem über die katholische Kirche lustig machten, die es doch ansonsten mit Emanzipation und Gleichberechtigung nicht so habe. Die Basis rebelliert gegen den vermeintlichen Paternalismus ihres Priesters, indem sie seine emanzipativen Vorstellungen beschimpft und auf einem durch und durch paternalistischen Ritual beharrt. Ohne Ironie ist das nicht, so etwas wie eine paradoxe Intervention. Und da war natürlich auch ein bisschen versteckte Freude an Väter- und Männerdominanz, die in einem solchem Hochzeitsritual ein festliches Reservat hat. Das alles wurde noch angereichert durch die Haltung: Der Kunde ist König. Es ging im Kern um die Frage: Wer hat das Sagen? Der Priester oder die, die zum ihm kommen? Ist die Kirche eine Art Eventagentur, die man mit der Kirchensteuer vorab schon bezahlt hat?

In der Lokalzeitung wurden auch Experten aus den Kirchen befragt: Bernd Tiggemann vom Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche von Westfalen berichtete, dass von den letzten 20 Brautpaaren, die er getraut habe, 18 die „amerikanische Eröffnung“ wollten. Und auch sein Hinweis, dass es sich dabei um einen ursprünglich germanischen Ritus handele, bei dem der Vater die Tochter im jungfräulichen Zustand an den künftigen Ehemann überreichte, habe daran nichts geändert. Der Kirchenmann schlug allerdings vor, Menschen, die ja oft nur noch einen losen Kontakt zur Kirche hätten, nicht vor den Kopf zu stoßen. Er riet dazu, ihren Wunsch nach einer amerikanischen Eröffnung etwas zu verbiegen: Man solle doch auch die Mutter oder die Eltern des Bräutigams dazuholen.

Die Kirchenrechtlerin Reinhild Ahlers, zuständig für das Beschwerdemanagement im Bistum Münster, zitierte aus dem Trauritus der katholischen Kirche. Da stünde: „Im Eröffnungsteil empfängt der Zelebrant in der Regel das Brautpaar, Trauzeugen und Hochzeitsgäste am Kirchenportal und heißt sie willkommen. Dabei kann der Zelebrant zur Erinnerung an ihre Taufe Weihwasser reichen“. Es gehöre zu einem partnerschaftlichen Eheverständnis, „dass die Brautleute gemeinsam in die Kirche einziehen“.

Nicht von Männerhand in Männerhand

Die evangelische Pfarrerin Silke Niemeyer aus Lüdinghausen im Münsterland erzählt, dass die „amerikanische Eröffnung“ schon seit mehr als zwanzig Jahren gang und gäbe sei. „Uns jungen Pfarrerinnen, die sich gerade ihren Platz in der Männerkirche erobert hatten, standen Augen und Mund offen, als Bräute mit dieser Vorstellung ins Traugespräch kamen.“ Nach anfänglichem „Mundfusseligreden“ habe sie das dann doch mitgemacht – weil der Widerstand gegen das, was bereits fest zum Traum einer perfekten Trauung gehörte, die jungen Frauen verletzt habe. Man müsse sich, meint Pfarrerin Niemeyer, klarmachen, dass Hochzeitsvorbereitungen hochemotional seien und Konflikte in den Familien des Brautpaars heraufbeschwören darüber, wer was darf, muss oder soll. Sie, die Pfarrerin, habe sich entschieden, deswegen „hier nicht in den Machtkampf zu gehen und für Gleichberechtigung an anderer Stelle zu kämpfen“. Nur auf eines dringe sie immer: „Dass die Hand der Braut bitte nicht vor dem Altar von Männerhand in Männerhand gelegt wird und dass die Braut die letzten Schritte allein geht“. In beiden Kirchen sei es schon lange selbstverständlich geworden, die persönlichen Wünsche des Paars zu erfragen und in den Gottesdienst einzubeziehen.

Der Shitstorm gegen den katholischen Kollegen zeigt allerdings, wie groß die Wut gegen die Kirchen ist, die ihre Gläubigen so lange arrogant bevormundet haben. Der Pfarrer der Ambrosius-Gemeinde habe, so meint seine evangelische Kollegin, diese geballte Wut abbekommen. Trotzdem hat Pfarrerin Silke Niemeyer einen Wunsch: Dass die Geistlichen, die den Brauch problematisieren und das patriarchale Gesicht der Kirche ändern wollen, „nicht mit Dreck beworfen werden. So verwerflich sind ihre Gründe doch nicht, oder?“

Da hat, meine ich, die evangelische Pfarrerin recht. Und zum Zeichen, dass es den Kirchen ernst ist mit dem Abschied vom alten Denken, sollten sie sich gute Segensrituale für homosexuelle Paare überlegen.

Die evangelischen Kirchen führen gerade nach jahrelangen inneren Kontroversen Trauungen für homosexuelle Paare ein. Bei gleichgeschlechtlichen Paaren steht die „amerikanische Eröffnung“ übrigens nie zur Diskussion, obwohl auch sie alle Söhne und Töchter von Vätern sind.

Der Pfarrer von St. Ambrosius, der sich mit seinen Brautleuten gestritten hatte, hat mittlerweile zusammen mit ihnen eine, wie er sagt „gute Lösung“ gefunden.

Einen schönen August (der übrigens als Hochzeitsmonat immer beliebter wird) wünscht Ihnen

Ihr

Heribert Prantl,

Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung


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