Wie lässt sich Heimat im 21. Jahrhundert gestalten? Antworten suchen die südoldenburgischen Heimatvereine am 14. Februar auf einer Podiumsdiskussion in der Vechtaer Universität. Impulsgeber ist ein Experte aus Bayern: Dr. Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung.

Herr Dr. Prantl, Sie halten in der kommenden Woche das Impulsreferat auf dem 100. Geburtstag des Heimatbundes Oldenburger Münsterland, eines Dachverbandes von Heimatvereinen. Das klingt nach einer Altherrenveranstaltung. Haben Sie nichts Besseres zu tun?

Nein, denn Heimat ist gerade in globalisierten Zeiten unglaublich wichtig. Wir fragen uns oft, warum Menschen anfällig für populistische Extremisten und Nationalisten sind. Das hängt damit zusammen, dass sich die Menschen zum Teil heimatlos fühlen. Ein Heimatbund hat nicht nur die Aufgabe, nostalgisch in die Vergangenheit zu schauen. Er sollte sich auch fragen, was müssen wir tun, wie muss die Heimat ausschauen, dass sie nicht nur Heimat heißt, sondern auch Heimat ist.

Was ist Heimat?

Die allererste Heimat ist die unmittelbare Umgebung, die Familie, der Wohnort, die Region. Aber es gibt weitere Heimaten. Viele betrachten natürlich Deutschland als Heimat. Wie muss Europa ausschauen, damit die Menschen es als zweite oder dritte Heimat betrachten? Die Leute spüren durchaus, dass Nationen nicht mehr in der Lage sind, Probleme allein zu lösen. Vielleicht ist der Brexit der Paukenschlag, der die Menschen aus ihrer Lethargie reißt. Die Brüsseler Bürokratie und manches mehr wird mit Recht kritisiert. Aber auch Europa muss uns Heimat werden, nicht nur im Kopf, sondern auch im Herzen.

Sie haben einmal einen Kommentar mit dem Titel „Heimatpolitik ist Zukunftspolitik“ überschrieben. Wie würden Sie Heimatpolitik konkret beschreiben?

Heimat ist etwas, das den Leuten Halt gibt. Die Wurzeln müssen so fest und tief sein, dass man die Stürme der Zeit bestehen kann. Insofern ist Heimat viel mehr als eine Postleitzahl. Es geht nicht nur darum, alle zehn Jahre Wanderwege neu zu markieren und die Marktplätze andersherum zu pflastern.

Die Menschen in der Provinz müssen das Gefühl haben, dass die Politik sich nicht nur um die Großstädte kümmert. Dazu gehört ein leistungsfähiges Breitbandnetz, ein ordentlicher Verkehrsanschluss, Bildungseinrichtungen und Betriebe vor Ort, damit die Menschen nicht Hunderte Kilometer zur Arbeit fahren müssen.

Es darf nicht passieren, dass sich das Land immer weiter entvölkert, weil die jungen Leute sagen, da habe ich keine Zukunft. Politik muss die Voraussetzungen schaffen, dass auch qualifizierte, gebildete junge Menschen in der Provinz ihre Zukunft finden.

In Kommentaren und Texten warnen Sie vor der Gefahr, die Heimat ideologisch den Rechtspopulisten zu überlassen. Aber ist das in der praktischen Politik nicht längst passiert? Finden Sie den Vorwurf vieler Provinzler richtig, dass die Regierenden in Berlin zu lange viel zu wenig in die ländlichen Räume investiert haben?

Natürlich haben sie lange zu wenig gemacht. Sie haben die Explosivität des Problems zu spät erkannt. Man darf das Land nicht den Populisten und Extremisten überlassen. Es geht beim Begriff Heimat ja nicht um Kitsch und Tradition, es geht um bezahlbare Mieten, um ausreichende Renten, es geht darum, wie Arbeit und Leben miteinander zu vereinbaren sind.

Das Oldenburger Münsterland ist geprägt von Landwirtschaft und Industrie. Innovativer Mittelstand und fleißige Arbeitnehmer sorgen für Vollbeschäftigung und Wohlstand. Auf den zweiten Blick sind aber Probleme zu erkennen: Flächenknappheit, Fachkräftemangel, ökologische Verarmung der Landschaft, Wohnungsnot, prekäre Beschäftigung und soziale Isolation von Zuwanderern, Bedeutungsverlust von Kirche, Parteien, Vereinen. Was raten Sie in dieser Situation?

Wenn das Fundament einer Region Risse zeigt und Menschen Ängste spüren, sollte man Probleme nicht wegreden. Das Wort Angst kommt von Enge. Wie mache ich die Enge weit? Gerechte Löhne und Renten, Wohnungsbau und Bildungspolitik, aber auch ein attraktives Vereinsleben stabilisieren das Fundament.

Wenn es um Integration geht, spielen Heimatvereine eine entscheidende Rolle, weil sie zwischen Neubürgern und Altbürgern vermitteln können. Heimatvereine können Sicherheit geben. Institutionen, die dem Leben einen Rahmen geben, sind wichtig. Um konkrete Probleme zu lösen, gibt es keine Patentrezepte. Aber zu einer intakten Heimat gehört es, dass man gemeinsam versucht, diese zu lösen.

Die Arbeit des Heimatbundes Oldenburger Münsterland und der Heimatvereine ist sehr stark vom Bewahren und Erforschen historischer Gegenstände und Dokumente geprägt. Wie wichtig ist Heimatkunde für Gegenwart und Zukunft einer Region?

Heimatforschung ist wichtig, weil ich wissen muss, wo ich herkomme, und dann auch weiß, wo ich hingehen will. Aber die Geschichte darf sich nicht in der Geschichtlichkeit erschöpfen. Nur rückwärts zu schauen ist schlecht. Die Rückschau ist gut, wenn sie dem Blick nach vorne dient.

Zum Thema Migration und Integration erzählt die südoldenburgische Geschichte durchaus Interessantes. Viele Menschen in dieser früher sehr armen Region wanderten aus oder verdienten den Unterhalt für ihre Familien in Holland. Nach dem zweiten Weltkrieg galt es, zahlreiche Vertriebene zu integrieren.

Flucht und Arbeitsmigration sind keine Probleme erst des 21. Jahrhunderts. Das gab es auch schon im 19. und 20. Jahrhundert. Jede Region hat ihre Migrationsgeschichte. Es ist durchaus lohnend, in der Heimatforschung zu schauen, wie lauteten damals die Probleme und welche Lehren können wir heute aus früherem Geschehen ziehen.

Was macht eigentlich Horst Seehofers Heimatministerium? Im Norden Deutschlands hört man nur noch wenig zu diesem Thema. War das nur eine Schnapsidee vor der Bayern-Wahl? Braucht es in Berlin nicht tatsächlich mehr Aufmerksamkeit für ländliche Räume?

Deutschland besteht nicht nur aus Großstädten, es besteht zu zwei Dritteln aus Land, aus Region, aus Provinz. Darum muss sich ein Heimatministerium kümmern – das Leben dort muss Zukunft haben, auch für junge Familien.

Ich hatte mir daher erhofft, dass das Heimatministerium nicht nur ein Schaueffekt ist. Aber ich sehe im Ministerium von Horst Seehofer die so wichtige Heimatpolitik praktisch nicht. Es reicht doch nicht, die Politik, die man schon immer gemacht hat, nun einfach als Heimatpolitik zu bezeichnen. Das habe ich ihm neulich auch im persönlichen Gespräch vorgeworfen. Da hat er gesagt: „Warten sie halt mal ab.“ Da habe ich geantwortet: „Ich weiß nicht, wie viel Zeit Sie noch haben.“

Es kann doch nicht sein, dass Heimatpolitik darin besteht, dass sich der zuständige Minister mal einen Trachtenhut aufsetzt. Es ist auch keine Heimatpolitik, einfach Grenzen wieder hochzuziehen. Heimatpolitik muss ein guter, großer Blick in die Zukunft sein. Diesen Blick hat Horst Seehofer bislang nicht gewagt. Das ist die große Schwäche dieses Innenministers.

 


Interview: Ulrich Suffner, Erstveröffentlichung 9. Februar 2019.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung durch: Oldenburgische Volkszeitung

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