„Die Kraft der Hoffnung“ – unter diesem Motto steht die Demokratiekonferenz für Stadt und Landkreis Bayreuth. Bei der Veranstaltung des Evangelischen Bildungswerkes am Samstag von 11 bis 14 Uhr im Evangelischen Gemeindehaus spricht Heribert Prantl, der bei der „Süddeutschen Zeitung“ das Meinungsressort leitet. Im Kurier-Interview erklärt er, wo er Gefahr, aber auch Hoffnung für unsere Demokratie sieht.

Herr Prantl, Deutschland geht es gut. Woher kommen die Merkel-mussweg-Schreier, der Hass gegen Asylbewerber, diese Unzufriedenheit, die derzeit zu spüren ist?

Heribert Prantl: Die Menschen merken nicht mehr, wie gut es ihnen geht. Sie schütten das Kind mit dem Bade, also die Demokratie und den Rechtsstaat mitsamt seinen Fehlern aus. Sie spüren ein Unbehagen über all das, was auf sie einprasselt. Sie erleben eine Vielzahl von Veränderungen in einer Geschwindigkeit, wie sie wahrscheinlich in der Geschichte einmalig ist. Sie erleben Menschen, die aus den Krisengebieten der Welt nach Deutschland kommen. Nicht wenige Menschen haben das Gefühl, dass sie entheimatet werden. Eine Entschuldigung für Hass und Gewalt ist das allerdings nicht. Aber in so einer Situation strahlen Autokraten, Vereinfacher, Marktschreier und Antidemokraten offensichtlich eine gewisse Faszination aus. Demokratie erscheint als eine zu mühsame Angelegenheit. Man sehnt sich zurück in eine angeblich bessere Zeit – in der angeblich alles übersichtlicher war.

Früher hat das politische System Sicherheit gegeben. Arbeiter und sozial eingestellte haben die SPD gewählt. Konservative CDU/CSU. Ist das, was wir erleben, die Quittung von neun Jahren großer Koalition seit 2005?

Prantl: Man darf nicht alles auf die großen Koalitionen schieben – auch wenn ich sie nicht für die ideale Regierungskonstellation halte. Es ist sicher nicht Ergebnis der großen Koalition, dass die alten Bindungskräfte verloren sind. Die großen Koalitionen sind vielmehr eine Folge davon. Die alte Gleichung „Eine große Partei plus eine kleinere = Koalition“ stimmt halt nicht mehr, weil die

ehedem großen Parteien nicht mehr so groß sind. Nicht nur die Bindungskräfte der Parteien, auch die der Kirchen und der Gewerkschaften haben nachgelassen. Aber damit fällt etwas weg, was bisher zur Heimatlichkeit gehörte. In einer Gesellschaft der großen Mobilität und Diffusion wieder Stabilität zu finden, ist schwer – wir müssen es versuchen. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind nicht einmal vom Himmel gefallen und dann für immer da. Jede Generation muss das neu lernen. Das erleben wir gerade.

Die Entscheidung, Hans-Georg Maaßen zu befördern, haben Sie einen „Scherz an den Wählerinnen und Wählern“ genannt. In diesem Kontext sollen die Menschen an dieses System glauben. Hat sich Politik von den Menschen zu weit entfernt?

Prantl: Bisweilen ja. Die Entscheidung Maaßen lässt auch den Kommentator Prantl schier verzweifeln – weil sie den Politikerund Politikverdruss potenziert. Diese Beförderung lässt einen die Abneigung und den Zorn und die Wut auf die Eliten in der Politik verstehen. Das ist das Traurige an der Entscheidung zu Maaßen. Aber mit den Fehlern der Politik, mit den Fehlern von Seehofer, Merkel und Nahles, dürfen wir doch nicht die Grundprinzipien wegwerfen und uns an die Verächter des demokratischen Rechtsstaats und der Grundrechte halten. Demokratische und rechtsstaatliche und europäische Politik macht Fehler. Aber der Nationalismus und Rassismus sind ein einziger Fehler. Es muss klar bleiben, trotz aller Kritik: Demokratie ist das beste Betriebssystem, das es für eine Gemeinschaft gibt. Man darf in der Kritik an der Politik der großen Koalition nicht so weit kommen, die Feinde der Demokratie und die Feinde des Rechtsstaates für die Rettung zu halten.

Mit Bayern und Hessen stehen die Rechtspopulisten vor dem Einzug in die letzten beiden Parlamente, in denen sie noch nicht sitzen. Sehen Sie in der AfD eben diese Verächter des Rechtsstaates und Feinde der Demokratie, die Sie ansprechen? Oder ist das schlicht ein weiterer Mitstreiter in der Parteienlandschaft?

Prantl: Ich würde mir wünschen, dass die AfD einfach ein weiterer Mitstreiter ist. Aber es gibt Tendenzen in dieser Partei, die sind braun, die sind neonazistisch, die betreiben Verherrli-

chung des Ultranationalismus. Und das bereitet mir schon große Sorgen. Zu Sorgen gibt es Anlass, zu Panik aber nicht. Der Magen unserer Demokratie ist robust genug, um auch mit ihren Feinden und Verächtern umzugehen. Aber man darf die Gefahren, die es gibt, nicht auf die leichte Schulter nehmen. Den Appell an die Demokraten, dass man die Demokratie jeden Tag verteidigen muss, den meine ich schon ernst. Das Sichere ist nicht sicher.

Wie steht’s um unsere Demokratie?

Prantl: Sie ist leidlich stabil. Aber man darf sich nicht einfach auf die Stabilität verlassen. Der Bürger, die Bürgerin darf nicht zur Politik sagen: Macht ihr doch. Demokratie lebt von Demokraten, das sind wir, das sind Ihre Leserinnen und Leser, meine Leserinnen und Leser. Demokratie braucht keine Zuschauer, sie braucht Akteure, sie braucht eine lebendige Zivilgesellschaft. Die Leute, die sich für Flüchtlinge einsetzen, gehören ganz wesentlich dazu. Pro Asyl hat 25 000 Mitglieder, fast so viele, wie die AfD. Und wenn es stimmt, was Erhebungen sagen, dass sich jeder zehnte Deutsche um Flüchtlinge kümmert, dann ist das eine wunderbare Zahl, die für Zuversicht sorgen kann. Man sollte zwar nicht vorschnell Parallelen zur Weimarer Republik herstellen. Aber: die Weimarer Republik ist daran gestorben, dass es nicht genügend Demokraten gab. Ich wünsche mir, dass es in dieser Bundesrepublik genug engagierte und aktive Demokraten gibt. Ich liebe die zwei berühmten Sätze der Geschwister Scholl: „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit.“ Und: „Wenn jeder wartet, bis der andere anfängt, wird keiner anfangen.“ Diese Sätze haben ihre eigene Bedeutung in jeder Zeit, auch in der unseren.


Interview: Moritz Kircher,  Erstveröffentlichung 21. September 2018.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung durch: Nordbayerischer Kurier

 

 

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