KURIER: Herr Prantl, manche haben auf den Panama-Papers-Coup mit Zynismus reagiert. Nach dem Motto: Man weiß doch, dass die Reichen betrügen. Was ist neu dran, dass es Briefkastenfirmen gibt? Sind die Panama Papers viel Wind um wenig?
Heribert Prantl: Wenig? Da ist ungeheuer viel. Da sind Erkenntnisse in einem Umfang, die ich vor zwei Jahren für unmöglich gehalten hätte. Natürlich wusste man, wusste ich auch bisher, dass es das Off-Shore-Business gibt, dass zig- und hunderttausende Briefkastenfirmenexistieren und sonstige lichtscheue juristische Konstruktionen. Die Panama Papers machen aber nun das Abstrakte konkret, das Geahnte wird Gewissheit. Anonyme Verstecke werden mit Namen versehen. Noch nie sind diese Machenschaften in dieser Detailliertheit, in dieser globalen Umfassendheit aufgedeckt worden. Das ist eine neue Dimension. Das Besondere ist für mich die weltweite Kooperation der Journalisten. Üblicherweise kümmern sich Journalisten um die Skandale, die in ihrem jeweiligen Land passieren. Dass Journalisten global zusammenarbeiten, um ein Netzwerk von Steuerhinterziehung und dunklen Finanzmachenschaften aufzudecken, eröffnet dem Journalismus neue Perspektiven.
Welche Perspektiven orten Sie hier?
Zum ersten Mal im Journalismus wurde eine weltweite Öffentlichkeit hergestellt. Das finde ich fantastisch. Viele gesellschaftspolitische Fragen werden bisher nur in den nationalen Bereichen diskutiert. Und oft macht gerade diese nationale Betrachtung der Dinge die Lösung so schwer. Erstmals wird nun ein Thema, das uns plagt, nämlich die fehlende Transparenz bei gewaltigen finanziellen Transaktionen, global angepackt. Das birgt eine große Chance, auch eine globale Lösung zu finden – zumal nun weltweit Druck gemacht wird.
Acht Prozent des Weltvermögens werden in Steueroasen dem Fiskus entzogen. Sind die Panama Papers nun eine Chance, hier strenge Gesetze zu schaffen?
Es ist fatal, wenn der Reichtum der Welt weiterhin versteckt werden kann – in Trusts, Scheinfirmen, Briefkästen, in verschachtelten juristischen Gebilden, die von Scheindirektoren und Strohmännern gesteuert werden. Es geht ja dabei nicht nur um Steuerbetrug, sondern um Vermeidung von missliebigen Regeln und Gesetzen und Pflichten, um Geldwäsche, schwarze Kassen. Da liegen in Finanzverstecken die Gelder, mit denen Kleptokraten ihr Land ausplündern. Da werden in den Briefkastenfirmenauch die Gelder für den Terrorismus versteckt. Das ist ein Elend, das ist ein Horror, das muss aufhören.
Haben die Panama-Papers das Potenzial, die unmoralischen Offshore-Geschäfte zu beenden?
Wenn es gut geht, sind sie ein großes, gewaltiges, globales reinigendes Gewitter – eines, das nicht nur donnert und blitzt, sondern eines, dass Folgen zeitigt. Es geht um die Reinigung des Augias-Stalls der Moderne. Herakles hat den Stall des Augias – dreitausend Rinder standen dort, und der Stall war seit dreißig Jahren nicht mehr gereinigt worden – dadurch gesäubert, dass er die Flüsse Alpheios und Peneios durchleitete. So ähnlich sollte heute das mit den Panama-Papers gehen: Ausmisten, Transparenz schaffen. Freilich: Journalisten sind keine Halbgötter wie Herakles und Odysseus, aber sie sind – jedenfalls die vierhundert, die weltweit an dieser Recherche gearbeitet haben – zäh und ausdauernd und nachhaltig. Für viele ist es die Geschichte ihres Lebens; und sie werden, so hat mein Kollege Hans Leyendecker versichert, dran bleiben.
Ist die Empörung in der Gesellschaft groß genug, dass der Skandal länger als zwei bis drei Wochen die Medien und die Politik beschäftigt?
Ich denke, die Empörung ist groß genug. Der Druck ist global und universal, er ist größer als bei den üblichen Skandalen, er reicht von Island bis Argentinien. Die Bürger sind aber auch von Recherchekraft beeindruckt. In den vergangenen Jahren wurde der Journalismus sehr stark kritisiert, immer wieder von der „Lügenpresse“ gesprochen. Jetzt sehe ich neuen Respekt wachsen. Man kann das Imagekorrektur nennen, aber es ist mehr: Es geht um Vertrauen in den Journalismus und um die Besinnung darauf, wofür Pressefreiheit eigentlich da ist.
Ist für Sie ein Off-Shore-Konto schon ein Beweis für eine Steuerhinterziehung?
Natürlich ist die Existenz eines solchen Kontos noch kein Beweis. Aber es kann ein Indiz sein. Mit einem solchen Indiz ist zwar nicht die Schuld eines Kontoinhabers festgestellt. Diesen Indizien muss aber weiter nachgegangen werden. In ganz vielen Fällen stellt sich heraus, dass die Konten für keine heiligen und für keine sauberen Zwecke genutzt werden. Die Staatsanwaltschaften nehmen die Indizien, die sich im Zuge der Panama-Papers ergeben, als Anlass für ihre Ermittlungen. Wir übergeben die Ergebnisse unsere Recherchen aber nicht der Staatsanwaltschaft, weil Journalisten nicht Handlanger der Justiz sind und sein dürfen.
Was sind die Motive für die Steuerhinterziehung? Ist es wirklich nur die banale Gier?
Das ist sicher ein Urtrieb. Gier hat viele Facetten. Menschen und Mächte benutzen Geld, um ihre Macht auszubauen. Gier ist ja nicht nur die Eigenschaft, dass ich wie Dagobert Duck auf dem Geldberg sitze. Man setzt verstecktes Geld ein, um wirtschaftliche und politische Macht auszuüben. Das macht diese Form der Gier auch so gefährlich.
Auch Premier David Cameron ist in die Panama Papers verstrickt. Wird das Auswirkungen auf das Brexit-Referendum haben?
Es wird das Image und die Position von Cameron nicht fördern. In dem Maß, im dem sich Cameron desavouiert, leidet auch die Position, die er europäisch vertritt. Bei Cameron zeigt sich ein bekanntes Muster: Zuerst versuchen die Betroffenen die Dinge zu leugnen, und dann peu-a-peu einräumen müssen, dass die Vorwürfe doch richtig sind.
Sind die Panama-Papers eine Chance zu zeigen, dass Qualitätsjournalismus nicht gratis sein kann?
Eine solche Recherche ist sehr kosten-, zeit- und personalintensiv. Das weltweite Journalistennetzwerk muss sich treffen, Arbeitsstrategien überlegen, Informationen austauschen, die Dokumente auswerten. Es geht und ging bei den Panama-Papers um 214 488 Briefkastenfirmen und um 11,5 Millionen Dokumente. Man muss die digitale und personelle Logistik aufbauen, dies auszuwerten. Das kann ein Umsonst-Blatt nicht leisten und nicht bieten, das kostet. Ich denke, mit den Panama-Papers steigt das Bewusstsein, dass guter Journalismus nicht nur etwas, sondern sehr viel wert ist. Das zählt für mich zu den wichtigsten Erkenntnissen dieser Aufdeckung.
Ein österreichischer Chefredakteur nannte den Coup „die journalistische Sternstunde des 21. Jahrhunderts“. Gefällt Ihnen diese Headline?
Natürlich. Aber beim Würdigen der Leistungen des eigenen Blattes sollte man sich ein wenig zurückhalten, wenn andere loben, freut einen das schon sehr. Sternstunde ist ein schönes Wort. Das Wort Pressefreiheit hat einen neuen Glanz bekommen. Die Panama-Papers sind für mich ein Blick in die Zukunft des Journalismus. Das heißt: Die Zukunft des Journalismus ist der gute Journalismus – ein aufklärerischer, hartnäckiger, analytischer, kluger und international kooperierender Journalismus, wie er sich bei den Panama Paper zeigt.
Erstveröffentlichung am 10. April 2019
Abdruck mit freundlicher Genehmigung durch: Kurier.at