Heimat ist aktuell in aller Munde. In verschiedenen Beiträgen und Interviews heben Sie immer wieder hervor, dass man gerade heutzutage über Heimat reden muss. Warum ist dies aus Ihrer Sicht so wichtig?

Heimat ist mehr als eine Postleitzahl, Heimat ist mehr als eine Adresse irgendwo. Heimat ist das, was Halt gibt. Heimat ist auch Urvertrauen – das Urvertrauen, sicher  und geborgen zu sein. Wer eine Heimat hat, tut sich  leichter im Leben; er wird nicht so leicht entwurzelt, auch  wenn der Sturm an ihm zerrt.

Immer mehr Menschen sind heute von dem, was „Globalisierung“ genannt wird, höchst verunsichert, sie fühlen sich entheimatet. Heimatliche Politik ist eine Politik, die den Menschen ihre Unsicherheit nimmt. Gute Heimatpolitik denkt also nicht nur an die Sanierung von Denkmälern und die Beschilderung von Wanderwegen, sondern, zum Beispiel, an die Sanierung der Mietpolitik und der Rentenpolitik.  Gute Heimatpolitik sorgt dafür, dass sich Familien das Wohnen in den Städten leisten können und die alten Menschen das Leben im Alter. Auch eine Grundrente, die „Respektrente“, wie sie Minister Hubertus Heil nennt, gehört deshalb zur Heimatpolitik.

Sie definieren Heimat für sich persönlich als das, worüber Sie schreiben. Als politischer Journalist schreiben Sie über Demokratie, den Sozialstaat und Europa. Welche Rolle spielen ein funktionierender Sozialstaat und das „Betriebssystem“ Demokratie, wie Sie es genannt haben, für das Thema Heimat?

Wenn Demokratie gelingt, wird sie zur Heimat für die Menschen, die in dieser Demokratie ihre Zukunft miteinander gestalten, Denn die Demokratie ist ja mehr als nur ein Wahl alle paar Jahre, sie ist ein Grundprinzip, sie ist ein gesellschaftliches Betriebssystem. Es ist dies ein Betriebssystem, bei dem alle, die in einem Land wohnen, etwas zu sagen haben. Jeder hat eine Stimme, keiner ist mehr wert als der andere, alle sollen mitbestimmen, was zu geschehen hat. Dabei hilft der Sozialstaaat.

Im Idealfall schafft es der Sozialstaat, dass sich die Menschen trotz Unterschieden in Schicksal, Rang, Talenten und Geldbeutel auf gleicher Augenhöhe begegnen können. Der Sozialstaat ist, mit Maß und Ziel, Schicksalskorrektor. Das ist eine heimatliche Aufgabe. Dabei gehört die Förderung der Kinder, die Förderung der Menschen mit Behinderung und die Pflege der alten und dementen Menschen  zusammen – es geht in all diesen Fällen um die gute Zukunft der Gesellschafft.

Heimat hat aus Ihrer Perspektive sehr viel mit Mitgestalten zu tun. Warum ist bürgerschaftliches Engagement, so etwa in den zahlreichen Heimatvereinen, relevant, und was kann es leisten?

Heimat ist unsere kleine und größere Welt dann, wenn sie die Humanität des Leben bewahrt. Dazu kann man selber beitragen. Heimat wird einem nicht von Amazon ins Haus geliefert. Man muss selber etwas dafür tun, man kann, man muss gemeinsam mit anderen werkeln und arbeiten – an einem gemeinsamen Projekt, an einer gemeinsamen Aufgabe. Die Übernahme von Verantwortung  schafft Heimat. Heimat ist auch das  Gefühl, dass einem das was angeht, was passiert, und dass man seinen Beitrag leisten und stolz darauf se.in kann.

Heimat-Politik bezeichnen Sie als Politik gegen den Extremismus. Was sind für Sie konkrete Aufgabenfelder von Heimat-Politik, in ländlichen Gebieten aber auch in urbanen Räumen?

Gute Heimatpolitik ist viel mehr als Brauchtumspflege; auch sie gehört natürlich dazu. In  einer sich entvölkernden Provinz gehört zur Heimatpolitik aber auch  eine Politik, mit der man junge Menschen zum Bleiben oder zur Rückkehr bewegt. Es ist so: Die Boomstädte brauchen etwas von dem, was das Land hat – bezahlbaren Wohnraum. Und die Land braucht etwas  von dem, was die Stadt hat – die Verbindung von Arbeit und Leben, eine gute Infrastruktur, ordentliche Verkehrsverbindungen.  Dafür zu sorgen, das ist Heimatpolitik.

Neben Heimat liegt Ihnen auch das Thema Kinder sehr am Herzen, wie Ihr Buch „Kindheit. Erste Heimat“ anschaulich zeigt. Uns würde vor dem Hintergrund unseres aktuellen Themenjahres „Heimat für Kinder und Jugendliche“ interessieren, warum es Ihrer Ansicht nach wichtig ist, Kinder schon früh für die Besonderheiten ihrer Umgebung, ihres Nahumfeld zu interessieren?

Heimat lebt von ihren Eigenheiten, von dem, was  Sie  unverwechselbar macht. Heimat ist etwas für alle Sinne – man muss frühzeitig lernen, die Sinne zu öffnen. Heimat wird lebendig, wenn sie einem vertraut wird, wenn sie einem ans Herz wächst, wenn man von ihr erzählen kann. Dann gibt  sie einem Kraft. Dann ist sie mehr als eine Umgebung, in der man zufälligerweise geboren oder in der man aufgewachsen ist, dann wird sie einem zum Begleiter fürs Leben, auch  wenn man später ganz woanders lebt.  Man weiß dann, wo man herkommt – auch wenn einem das  Leben ganz woanders hingestellt hat.  Dieses heimatliche Bewusstsein kann einem eine Grundsicherheit fürs Leben geben. Und sie kann die Neugier wecken auf andere Heimaten und  auf das, was für andere Heimat ist.


Interview: Silke Eilers,  Erstveröffentlichung „Heimat Westfalen“ (PDF), Ausgabe 2/2019.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung durch: Westfälischer Heimatbund

 

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