Heribert Prantls Buch gegen die Gleichgültigkeit.

Wird schon alles gut gehen? Politisch? In der Gesellschaft? In der Natur? Werden sich irgendwelche Zuständigen schon kümmern? In seinem Buch „Vom großen und kleinen Widerstand“ in der Demokratie erhebt Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der „Süddeutschen Zeitung“, dagegen Bedenken und zitiert Flugblätter der Nazi-Widerstandsgruppe Weiße Rose: „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt!“ Wenn jeder warte, bis der andere anfängt, werde am Ende keiner übrig sein, der noch das Wort erheben kann. Darum mahnt der Leiter des Ressorts Meinung der „SZ“ im Vorwort, nicht der Anpassung und Gleichgültigkeit zu verfallen. Wir haben uns mit dem Autor unterhalten.

Herr Prantl, bis auf das Vorwort sind die Texte im Buch schon einmal erschienen – gedruckt und online sowie in Ihrem Newsletter. Warum nun diese Sammlung in einem Medium, das fast nur noch die Generation 55 plus erreicht?

Heribert Prantl: Sie meinen mit diesem „Medium“ das gute alte Buch, oder? Ich habe nichts gegen lesende Menschen, die über 55 Jahre alt sind. Schließlich gehöre ich selbst dazu; und wir sind viele. Was spricht also dagegen? Wenn es dem Verlag gefiele, meine Bücher auch noch in Großdruck für Leute über 80 herauszubringen, dann fände ich das auch gut.

Wen erreichen Sie mit Ihren Meinungsartikeln und Wortmeldungen zu Gedenktagen?

Prantl: Ich erreiche alle, die die „SZ“ auf Print oder Online lesen, das ist die Fachangestellte in München, der Pegidist in Dresden, der Rechtsstudent in Freiburg, die Professorin im Ruhrgebiet, der Geschichtslehrer in der Oberpfalz, der Flüchtlingshelfer in Kiel – die jedenfalls mailen mir alle, mal begeistert, mal angewidert.

Wer antwortet Ihnen auf Twitter?

Prantl: Donald Trump hat allerdings noch nicht getwittert. Man sollte die Twitterei nicht so ernst nehmen. Dazu neigen wir Journalisten leider und verwechseln sie mit der Wirklichkeit. Gerade ist in der Zeitschrift „Medien & Kommunikationswissenschaft“ eine spannende Untersuchung von Sascha Höllig, die nachweist, dass Twitter überbewertet ist, weil da eine meinungsstarke Minderheit zwitschert.

Das Buch ist sehr ansprechend bibliophil gestaltet mit Lesebändchen, Kapiteleinleitungen und Initialen – alles jeweils in Rot. Ein Schmuckstück für das Bücherregal neben der Bibel oder der Goetheund Schiller-Ausgabe. Ist es also eine Art Manifest, das man immer wieder zur Hand nimmt?

Prantl: Ich darf jetzt natürlich nicht mit ja antworten und den Eindruck hinterlassen, ich wähnte mich in einer Reihe mit der Bibel, Goethe und Schiller. Davon besitze ich übrigens nicht nur bibliophile Ausgaben, sondern auch einige Taschenbücher mit Eselsohren. Dem Autor macht es nichts, neben wem sein Buch im Regal steht und dem Buch selbst auch nicht. Sie können ja nichts dafür. Und: Ich mag schöne Bücher, weil ich Bücher mag.

Die „Süddeutsche“ gilt und versteht sich als links-liberal. Sie selbst beziehen sich oft auf die Bibel. Sie „lobpreisen“ Widerständler, sprechen „Vom Judas in uns allen“ und schlagen einen staatstragenden Ton an. Bitte erklären Sie das.

Prantl: Links-liberal: Das müssten die definieren, die der „Süddeutschen“ dieses Etikett aufkleben. Ich orientiere mich an Rechtsstaat, an Demokratie und an der Menschenwürde. Um deren Stärkung geht es mir. Da darf man ruhig mal etwas Pathos zeigen, meine ich – darunter verstehe ich nicht Schmalz, sondern Leidenschaft. Und die Bibel: Ach Gott, aus meiner Sympathie dafür und aus meiner katholischen Herkunft habe ich noch nie einen Hehl gemacht.

Ein Kapitel widmen Sie der Lüge (zum 4. April, dem „Erzähl-eine-Lüge-Tag“). Sie gehen v. a. auf Politik, Macht und Lüge ein. Haben Sie ein ungutes Gefühl, wie das wirken mag nach den Erfindungen des „Spiegel“-Reporters?

Prantl: Wenn Sie das Kapitel, auf das Sie sich beziehen, zu Ende lesen, zeigt sich: Es endet mit dem Fall des ukrainischen Journalisten Babtschenko, den ich einen GAU für die Pressefreiheit nenne, weil er mit seiner fingierten Ermordung an der Irreführung der Öffentlichkeit mitgewirkt hat. Insofern bin ich gespannt, ob ich von den Leserinnen und Lesern nach dem Fall Relotius ein Echo bekomme.

Wie kann der Journalismus in Deutschland wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen?

Prantl: Ich glaube, dass das Vertrauen in den Journalismus zwar beschädigt ist, und Relotius hat den Schaden vergrößert. Trotzdem ist es weiterhin eine Minderheit, die glaubt, wir hätten eine verschworene Lügenpresse im Land. Die deutsche Presse braucht ausreichend viele Journalistinnen und Journalisten, die neugierig, unbequem, urteilskräftig und integer sind. Ein solcher Journalismus wird das Wort von der Lügenpresse abschütteln. Das geht aber nur dann, wenn er von den Verlegern nicht totgespart wird. Qualität kann man nicht outsourcen. Verleger müssen wissen, dass sie kein x-beliebiges Produkt herstellen. Sie stellen ein Produkt her, für das es aus gutem Grund ein eigenes Grundrecht gibt. Das verpflichtet – auch dazu, Journalisten ordentlich zu bezahlen. Das beste Rezept für eine gute Zukunft des Journalismus ist Leidenschaft. Das gilt für Journalisten und Verleger. Die Zukunft des Journalismus liegt im guten Journalismus.


Interview: Barbara Fröhlich,  Erstveröffentlichung 9. Januar 2019.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung durch: Donaukurier