Werte versprächen viel, erklärte Niklas Luhmann, aber hielten nichts. Doch in Krisen der Demokratie erschallt der Ruf, Werte seien in Gefahr, wir müssten sie verteidigen. Wenn diese Debatte jedoch ohne Substanz bleibt, ist sie anfällig für Populisten aller Couleur. Nachgefragt bei Heribert Prantl.

Couragiert-Magazin: Herr Prantl, Deutschland scheint gespalten wie nie. Vielen fehlt es an Zuversicht und Nationalisten profitieren vom erschütterten Vertrauen in die Demokratie. Gibt es Grund zur Sorge?

Heribert Prantl: Zur Sorge gibt es Grund, aber nicht zur Panik. Die Entwicklungen weltweit machen mir viel mehr Sorge als die deutsche Situation. Die Renaissance von Nationalismus und Rassismus, vom Rückzug ins Nationale hat mich schockiert. Ich bin nun seit fast 30 Jahren Journalist und werbe mindestens genauso lange für Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenrechte, den Respekt vor Fremden. Und was passiert? Es tritt all das ein, gegen das ich versucht habe anzuschreiben.

Das Werben ist also gar nicht unbedingt sinnvoll.

Das könnte durchaus eine Schlussfolgerung sein. Ich gebe meinen Journalistenschülern aber immer mit auf den Weg, dass sie nicht erwarten können, dass das Wasser die Richtung ändert, nur weil sie gegen den Strom schwimmen. Aber natürlich verändert sich etwas, auch wenn das Werben oftmals schwerer fällt. Es gibt einen Zeitgeist, der einem entgegenkommt oder eben nicht. Momentan bläst er einem ins Gesicht. Diese Situation sollten wir als Erfrischung begreifen, nicht als Aufforderung zur Resignation.

Warum wenden sich immer mehr Menschen von der Demokratie ab?

Autokraten und autokratische Regime strahlen ganz offensichtlich eine gewisse Faszination aus. Es ist mühsam geworden zu erklären, dass die Kompromisssuche, der Ausgleich, das Aufeinander-Zugehen und das Miteinanderringen mindestens genauso faszinierend sind.

War das vor zehn oder 15 Jahren anders – sind Sie damals mehr mit dem Strom geschwommen?

Nicht unbedingt. Diejenigen, die Anfang der neunziger Jahre gegen die Änderung des Asylgrundrechts waren, können Sie an einer Hand abzählen. Deshalb habe ich mich damals gelegentlich alleine gefühlt und tue es heute auch. Aber momentan ist es gewiss so, dass die globalen Koordinaten andere sind. Ein US-Präsident, der Menschenrechte und Konventionen in Frage stellt, sorgt für globale Unsicherheit.

Die Welt hat sich zum Negativen verändert?

Nicht unbedingt! Pro Asyl beispielsweise hat heute 25 000 Mitglieder – fast so viel wie die AfD. Wenn ich vor 25 oder 30 Jahren mit einer Idee für eine spannende Geschichte über diese Organisation zum Nachrichtenchef ging, wurde daraus höchstens eine Randmeldung. Die Sensibilität des Journalismus, der Medien und der Gesellschaft hat sich verändert. Nichtsdestotrotz existiert heute eine gespaltene Zivilgesellschaft. Der eine Teil wird repräsentiert von AfD und Pegida. Der andere Teil von denjenigen, die sich für Flüchtlinge einsetzen. Und wenn es stimmt, was Erhebungen sagen, nämlich dass sich jeder zehnte Deutsche um Flüchtlinge kümmert, dann ist das eine wunderbare Zahl, die für Zuversicht sorgen könnte, wenn einem Zweifel am Fortschritt der Gesellschaft kommen.

Ist die Spaltung, die Sie nennen problematisch?

Eine gespaltene Gesellschaft ist zumindest kein neues Phänomen – wir hatten eine solche, als es in den späten fünfziger Jahren um die Wiederbewaffnung ging oder als Bundeskanzler Konrad Adenauer die Westbindung propagiert und durchgesetzt hat. Es ist heute insofern anders, als dass sich ein neuer Rassismus ausbreitet. Das ist schon beunruhigend. Aber frei von Rassismus oder rassistischer Aggressivität war die alte bundesrepublikanische Gesellschaft auch nicht.

Anders ist auch, dass die AfD als Profiteur dieser Entwicklung im Bundestag sitzt.

Die AfD ist deswegen so wichtig geworden, weil wir, die Medien, sie zu wichtig genommen haben. Ich habe bei unseren Redaktionskonferenzen immer wieder darauf hingewiesen, dass wir nicht jeden Furz, den die AfD lässt, beschnüffeln und noch kommentieren müssen, wie der Furz riecht. Das ist zu oft und zu intensiv gemacht worden – oft plakativ und erwartungsvoll. Es war etwas Neues und das Neue ist gehypt worden, nicht zustimmend, aber als spektakuläres Ereignis. Doch seit der Bundestagswahl hat man wenig von der Partei gehört. Das war und ist ein positiver Nebeneffekt der Sondierungsgespräche.

Ist es gut, dass die Auseinandersetzung mit der AfD ab sofort auch im Parlament stattfindet?

Die erste Sitzung des Bundestages hat mir eigentlich gut gefallen – auch der Umgang mit der AfD. Ich kann mich zumindest an keine Auftaktsitzung erinnern, bei der ich so interessiert dabei war. Es ist gut, wenn der politische Streit und die Debatte nicht mehr nur in den allabendlichen Talkshows stattfinden. Die Rückkehr zum vitalen Parlamentarismus kann nur gut sein.

Darüber hinaus scheint auch der Heimatbegriffin die Sphäre des Politischen zurückgekehrt zu sein.

Ich werbe mindestens seit zehn Jahren dafür, den Braunen diesen Begriff wieder weg zu nehmen. Nun spricht jeder zweite Politiker von der Liebe zur Heimat und betont dessen Bedeutung.

Offensichtlich wollte man diese Diskussion nicht den Rechtspopulisten überlassen.

Heimat ist nicht mehr bemakelt. Dazu trägt sicher bei, dass in Bayern oder Nordrhein-Westfalen und nun auch im Bund Heimatministerien eingerichtet wurden. Man kann darüber schmunzeln, aber diese Idee hat Potential. Es geht ja nicht nur darum, dass Subventionen dafür hergegeben werden, alle drei Jahre den Marktplatz andersherum zu pflastern.

Worum geht es Ihrer Meinung nach?

Heimatlichkeit ist – richtig verstanden und betrieben – Politik gegen den populistischen Extremismus. Es sind zunächst die kleinen Dinge, die ich dazu zähle: Wie weit ist der nächste Arzt entfernt? Gibt es gut funktionierende öffentliche Verkehrsmittel? Kann ich Brot und Milch zu Fuß einkaufen? Wo ist die nächste Arbeitsstelle? Und wie ist die Kinderbetreuung organisiert, wenn die Eltern auswärts arbeiten? Das sind zwar alles Kleinigkeiten, aber sie addieren sich zu dem Gefühl des Aufgehobenseins.

Warum ist das so lange ignoriert worden?

Weil man fixiert war auf andere Phänomene, weil die Politik mit dem eigenen Machterhalt beschäftigt war und weil die Politik in den Bundesländern schwächer geworden ist. Lange gab es Politiker in den Ländern, die mit der Art und Weise, wie sie Politik gemacht haben, bundespolitisch an Bedeutung gewannen. Das ist in den vergangenen 15 Jahren kaum mehr passiert. Vielleicht hat es auch mit einer Missachtung der Kommunalpolitik zu tun. Man hat leider zu spät erkannt, was die desaströse Lage der Kommunen anrichtet – nämlich, dass die Heimatlichkeit, die Bindungskraft, deutlich abgenommen hat.

Dieses Gefühl des Miteinanders zu vermitteln, gelingt vor allem den Rechten. Sie wollen deshalb mehr demokratische Populisten. Fällt Ihnen konkret jemand ein?

Martin Schulz, wenn er gut ist. Als er in den Jahren vor seiner Kanzlerkandidatur für Europa warb, war er für mich ein demokratischer Populist. Er war auf jeden Fall einer der wenigen, die mit Leidenschaft über Europa reden konnten. Ich habe ihn sehr dafür bewundert. Ein anderes Beispiel ist sicher Peter Gauweiler – ein demokratischer Populist, der gelegentlich auch Rechtsaußen balanciert. Er ist einer, der die luthersche Kraft der Rede besitzt, einer, der ohne die Salbaderei auskommt, die heute zum Politikjargon gehört. Ihm gelingt es, Forderungen so zu pointieren, dass sie diskutierbar werden.

Wie genau könnte denn das Programm eines demokratischen Populisten aussehen?

Vor der Wahl habe ich mit Peter Gauweiler genau über diese Frage gesprochen. Ich wollte wissen, was er Martin Schulz raten würde, um die Bundestagswahl doch noch zu gewinnen. Als erstes hätte er den Wählern versprochen, binnen acht Wochen alle Soldaten aus dem Ausland zurückzuholen. An zweiter Stelle stand das Versprechen, den Soli abzuschaffen und ihn noch vor dem Jahreswechsel auszuzahlen. Und drittens würde er damit werben, dass unter seiner Regierung alle Flüchtlinge arbeiten dürfen bzw. müssen. Das sind Forderungen, die man durchaus stellen könnte – Forderungen, die plakativ sind und die vertieft diskutiert werden können. Außerdem wüsste jeder Wähler, wofür der Kandidat steht.

Und in den Zeitungen würde es heißen, das sei unredlich, nicht durchgerechnet – alles populistisch.

Ich würde bei den Fakten bleiben und aufhören mit diesem Populismus-Quatsch. Der Begriff ist heute wie ein ausgeleierter Gummiring und letztlich verharmlosend. Das, was Marine Le Pen in Frankreich, Viktor Orbán in Ungarn, Jarosław Kaczyński in Polen, Alexander Gauland oder Beatrix von Storch hierzulande machen, ist kein Populismus, sondern Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und extremer Nationalismus. Wenn also jemand ein Extremist ist, dann bezeichne ich ihn doch bitte auch als solchen.


Interview: Tom Waurig,  Erstveröffentlichung Couragiert-Magazin, Heft 1/2018

Abdruck mit freundlicher Genehmigung durch: Couragiert-Magazin

 

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